DBH-Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz, Umsetzung der RL 2012/29/EU)

Datum: 
2014-12-03 00:00:00
Reaktionen auf Fehlverhalten und Straffälligkeit stehen in Deutschland im Spannungsverhältnis zweier gegensätzlicher Bestrebungen: Auf der einen Seite steht die repressive Bestrebung, die auf Strafe und soziale Exklusion des Täters durch Inhaftierung setzt. Auf der anderen Seite stehen restorative Bestrebungen, die als Ausgangspunkt die geschehenen Verletzungen und Straftaten aufnehmen, und die Wiedergutmachung, Tatfolgenausgleich und soziale Integration unter expliziter Beteiligung der Geschädigten zum Ziel haben. Unsere Gesellschaft realisiert ihren Sanktionsanspruch noch immer vor allem im Strafprozess. Die Verletzten bzw. Geschädigten werden teilweise dazu noch immer instrumentalisiert, ihre Pflichten werden ihnen vorgehalten, ihre Rechte sind schon während der Strafanzeigenerstattung ausbaufähig.

Mit dem Opferschutzgesetz bekamen die Geschädigten in Deutschland im Dezember 1986 im Strafprozess erstmals gewichtigere Bedeutung. Seit den späten 1980ern sind die Geschädigten mit der auch unter kritischen Juristen einsetzenden Diskussion um eine restorative justice und dem Gedanken der Wiedergutmachung, der konstruktiven Konfliktbearbeitung und der Tat- und Tatfolgenaufarbeitung zwischen Opfer, Täter und Gemeinschaft/community noch stärker in den Fokus des Umgangs mit straffälligem Verhalten gerückt. In Deutschland steht besonders die Aufnahme des Täter-Opfer-Ausgleiches (TOA) in die formalen Rechtsnormen im Jugendstrafrecht und allgemeinen Strafrecht sowie in die StPO für die zentrale Umsetzung solcher restorativen Bestrebungen. Hierbei findet die Perspektive der Geschädigten besondere Beachtung, die aus ihrer im bis dato üblichen Sanktionsrecht rein passiven Position befreit werden.

Am 10. September 2014 legte das Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur weiteren Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren vor (3. ORRG). Die Bundesregierung möchte hierdurch die „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Strafverfahren“ auf Bundesebene umsetzen. Der vorgelegte Entwurf schließt an das Opferschutzgesetz vom 18. Dezember 1986 und die Opferrechtsreformgesetze vom 30. Juni 2004 und 29. Juli 2009 an. Punktuelle Änderungen betreffen die für die Verletzten geltenden Vorschriften der StPO in den §§ 406d ff. Die Informationsrechte des Verletzten bei Anzeigeerstattung (§ 158 StPO) werden erweitert, die besondere Schutzbedürftigkeit von Verletzten (§ 48 StPO) wird festgeschrieben und ihre psychosoziale Prozessbegleitung in der StPO verankert (§§ 406g und f StPO). Schließlich beabsichtigt der Entwurf eine Korrektur der mit dem StORMG eingeführten Neuerungen in $ 171b GVG.

Die besondere Schutzbedürftigkeit mancher Opfer steht im Fokus des Referentenentwurfes. Zugleich beschränken sich die Gesetzesänderungsvorschläge nicht auf diese Gruppe (Ermessensvorschrift in § 406h Abs.5 Satz 2 StPO-E). „Information und Unterstützung“ werden für alle Geschädigten im Strafverfahren von der Anzeigenerstattung bis zur Prozessbegleitung konkretisiert. Insbesondere die Informationspflicht gemäß Artikel 4 der EU-Opferschutzrichtlinie verursacht keinen erheblichen Umsetzungsbedarf und wird auch überschaubare finanzielle Folgen in den Bundesländern haben. Die Belehrung über „Wiedergutmachungsdienste“ - im deutschen Sprachgebrauch vor allem die Einrichtungen, die Täter-Opfer-Ausgleich durchführen - sowie der Hinweis auf Unterstützung durch Opferhilfeeinrichtungen und die Vermittlung in Psychotherapie und/oder medizinische Hilfeangebote sowie die Vorhaltung einer Zufluchtstätte werden explizit genannt (§ 406i–j StPO-E). Den Ländern obliegt die Konkretisierung und Umsetzung dieser Anforderungen.

Im Einzelnen wird die besondere Schutzbedürftigkeit von Geschädigten durch z.B. Hinweise von Opferhilfeeinrichtungen im neu formulierten § 48 Abs. 3 StPO benannt. An anderen Stellen (§ 158, § 397, 406d StPO-E) werden Verpflichtungen zur angemessenen Information, zur professionellen Übersetzung durch Dolmetscher, aber auch zur angemessenen Wahrnehmung der Nebenklägerrechte aufgenommen.

Die psychosoziale Prozessbegleitung wird als „nichtrechtliche Begleitung für stark Verletzte“ und als „qualifizierte Betreuung und Unterstützung im gesamten Strafverfahren“ konkretisiert (§ 406g StPO-E), die die „individuelle Belastung [der Geschädigten] reduzieren, ihre Sekundärviktimisierung [...] vermeiden und ihre Aussagebereitschaft [...] fördern“ solle. Hierzu sind Anmerkungen zu machen:

Die Erfüllung eines Rechtsanpruchs auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung für insbesondere kindliche und jugendliche Opfer schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten ist im Grundsatz begrüßenswert. Eine Ausweitung auch auf heranwachsende Verletzte solcher Straftaten ist zu erwägen. Jedoch hat der Zweck einer Förderung der Aussagebereitschaft der Geschädigten im Strafprozess durch psychosoziale Prozessbegleitung nichts mit der Stärkung der Opferrechte zu tun und kann daher sowohl als erneute Instrumentalisierung der Geschädigten für die punitiven Zwecke der Strafverfolgung gedeutet werden als auch als Instrumentalisierung der Opferhilfeeinrichtungen für punitive Zwecke. Aus Sicht des DBH-Fachverbandes besteht hier die Nachbesserungsnotwendigkeit durch Streichung des Zieles Förderung der Aussagebereitschaft.

Die Länderregierungen bestimmen, „welche Personen und Stellen als psychosoziale Prozessbegleiter anerkannt werden und welche Voraussetzungen hierfür an Berufsausbildung, praktische[r] Berufserfahrung und spezialisierte[r] Weiterbildung zu stellen sind“ (§ 406g Abs.2 StPO). Dieser Passus schließt niedrigschwellige Serviceleistungen für Verletzte durch Ehrenamtliche nicht aus, sichert aber zugleich Qualität und Mindeststandards der Angebote.

Eine Klarstellung im Gesetz, dass psychosoziale Prozessbegleitung keinesfalls in finanzielle oder rechtliche Konkurrenz zu Zeugenbeistand oder Nebenklagenvertretung geraten darf, wäre für manche Rechtsanwender in der Praxis hilfreich.

Da nach § 406h Abs.5 Satz 3 StPO-E auch § 142 StPO entsprechend gelten soll, kann ein Verletzter, dem nach der Neuregelung kostenfreie psychosoziale Prozessbegleitung zusteht, eine geeignete, nach § 406g Abs.2 Satz 3 StPO-E anerkannte Person/Stelle seiner Wahl bestellen lassen, die u. U. nicht in staatlicher Trägerschaft steht. Unklar bleibt, ob bzw. wie solche psychosoziale Prozessbegleitung von Einzelpersonen, die nicht in öffentlicher oder freier Trägerschaft tätig werden, gegenüber der Staatskasse abgerechnet werden kann. Eine bundeseinheitliche Regelung im JVEG oder ähnlich dem Gesetz über die Vergütung von Vormündern und Betreuern oder entsprechend § 158 Abs.7 FamFG für die Vergütung von Verfahrensbeiständen ist zu erwägen, sofern ein Gericht eine solche Person nach § 406h Abs.5 StPO-E beiordnet.

In § 406i Abs. 1 Nr. 5 StPO-E soll neben anderen die Befugnis des Verletzten explizit benannt werden, gemäß § 155a StPO einen Täter-Opfer-Ausgleich mit dem Beschuldigten zu erreichen. Die hier vom Gesetzgeber vorgesehene Koppelung des Anspruchs eines Verletzten, einen außergerichtlichen Schlichtungsversuch zu erreichen, an den § 155a StPO schränkt die Rechte von Verletzten unnötig ein und ist abzulehnen. Zugleich ist anzumerken, dass die in der EU-Richtlinie beschriebenen „Wiedergutmachungsdienste“ mehr umfassen als Einrichtungen die nach § 155a StPO Täter-Opfer-Ausgleichsversuche durchführen.

TOA und andere restorative Verfahren haben für Geschädigte vielerlei Vorteile. Aus Sicht des DBH-Fachverbands sollte der Bundesgesetzgeber daher einen Anspruch des Verletzten auf die Nutzung der „Wiedergutmachungsdienste“ verankern, ohne den Strafverfolgungsbehörden dafür eine Prüfung auf Eignung zuzugestehen. Geeignet für Wiedergutmachungsversuche sind Straftaten dann und zu einer Zeit, wenn die Verletzten selbst diese für geeignet halten! Also in § 406i Abs. 1 Nr. 5 StPO-E statt:

„5. sie können nach Maßgabe des § 155a einen Täter-Opfer-Ausgleich erreichen.“

besser und ergänzend:

            „5. sie können einen Täter-Opfer-Ausgleich erreichen.

6. sie können Wiedergutmachungsleistungen im Rahmen eines opferbezogenen Strafvollzugs anstreben.“

Hierzu wäre auf die entsprechenden Ländergesetzgebungen zum (Jugend)Strafvollzug zu verweisen.

Der DBH-Fachverband begrüßt die im Referentenentwurf vorgesehenen Gesetzesänderungen zur Stärkung der Rechte der Verletzten im Strafverfahren. Setzen Strafverfolgung und Strafrecht bisher nach wie vor auf Sanktionierung von Abweichungen und Ausgrenzung von Abweichlern und nehmen dafür die soziale Isolierung und Instrumentalisierung von Geschädigten im Strafverfahren in Kauf, so bietet die im Referentenentwurf vorgesehene Stärkung der Opferinteressen und die besondere Informationspflicht der Geschädigten neue Chancen für die Wiederherstellung des Rechtsfriedens durch eine aktive und unmittelbare Teilnahme der Geschädigten an Verfahren einer wiederherstellenden Gerechtigkeit.

Diese Verfahren dürfen auch Geschädigte schwerer und besonders schwerer Straftaten nicht ausschließen, und es ist ein zu begrüßender Schritt, dass Geschädigte durch den neuen Gesetzentwurf noch umfassender in die Lage versetzt werden, Wiedergutmachungsdienste in Anspruch zu nehmen. Eine Koppelung der Inanspruchnahme solcher Dienste an den § 155a StPO ist allerdings abzulehnen, weil die Verletzten in ihrer Autonomie gestärkt werden und selbst entscheiden sollen, ob, wann und in welcher Form sie einen Wiedergutmachungsdienst nutzen wollen.

Solange der gesellschaftliche Umgang mit Straftaten unter der Prämisse des Strafrechts und des Strafens steht, ist jede Form integrierender Beziehungsarbeit, die auf einen Ausgleich zwischen Täter, Opfer und Gesellschaft setzt und die auf Wiedergutmachung der Verletzungen sowie auf Wiederherstellung der gestörten sozialen Beziehungen abzielt, nur durch zum Strafprozess alternative Verfahren möglich.

Der vorgelegte Referentenentwurf bietet dafür neue Chancen und wird die Rechte von Geschädigten deutlich stärken. Die Beschuldigten und deren Wiedereingliederung (Resozialisierung) können im Fall erfolgreicher Ausgleichsbemühungen und erfolgter Tatfolgenaufarbeitung und Wiedergutmachung davon profitieren, dass zukünftig noch mehr Geschädigte von sich aus „Wiedergutmachungsdienste“ in Anspruch nehmen, weil sie ordnungsgemäß darauf hingewiesen werden.

Erweitert werden könnte das Gesetzesvorhaben insofern, als auch Verletzte einen Anspruch darauf haben sollten, dass die von Ihnen genutzten „Wiedergutmachungsdienste“ ebenso bestimmte Mindeststandards erfüllen wie die psychosoziale Prozessbegleitung.

Opferschutz ist Prävention und die in verschiedenen Studien nachgewiesenen deutlich geringeren Rückfallquoten nach erfolgtem Täter-Opfer-Ausgleich machen die Verankerung eines Anspruchs der Verletzten auf Täter-Opfer-Ausgleichsversuche sinnvoll.

Auch eine Ausweitung des Begriffs des Verletzten auf direkte Angehörige und betroffene Kinder der Geschädigten von schweren Straftaten sollte der Gesetzgeber in Betracht ziehen.

Prof. Dr. Heinz Cornel, Präsident des DBH-Fachverbands

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