Stellungnahme des DBH-Fachverbandes zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Bewährungshilfe und der Straffälligenarbeit

Datum: 
2014-12-09 00:00:00

Die Bundesregierung hat am 2. Juli 2014 dem Bundestag entsprechend dem Beschluss des Bundesrats vom 23.5.2014 den von Sachsen eingebrachten Gesetzesantrag, dem die Länder Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt beigetreten waren, das Gesetz zur Stärkung der Bewährungshilfe und der Straffälligenarbeit zugeleitet. Im Kern besteht dieses Gesetz aus einem neuen § 496 StPO zur Datenübermittlung durch die Bewährungshelfer. Dazu nehmen wir wie folgt Stellung:

  1. Der Titel des Gesetzes findet keine rechte Entsprechung in dessen Inhalt. Es ist geradezu fraglich, ob durch dieses Gesetz die Bewährungshilfe und Straffälligenarbeit gestärkt wird. Unter „Stärkung der Bewährungshilfe und der Straffälligenarbeit“ könnte man sich in der Strafprozessordnung gut eine Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechts aus beruflichen Gründen gemäß § 53 StPO auf die Bewährungshilfe und Straffälligenhilfe vorstellen können. Ebenso denkbar wäre die Installierung einer Fallzahlhöchstgrenze in § 56 d StGB, um die Qualität der Bewährungshilfe angesichts immer neuer zusätzlich zu erbringenden Leistungen zu sichern. Dies alles war aber nicht intendiert, sondern von Anfang an ging es allein um neue Befugnisse zur Offenbarung von Privatgeheimnissen, d.h. um eine Reduzierung der Schweigepflicht gemäß § 203 Abs. 1 StGB.
     
  2. Soweit in der Begründung die Intention genannt wird, die Kooperation der Bewährungshilfe beispielsweise mit Polizei und Strafvollzug zu verbessern, um den Rechtsgüterschutz und die Resozialisierung zu optimieren sowie für die Bewährungshelfer und Bewährungshelferinnen Rechtssicherheit zu schaffen, wird dieses Ziel von uns geteilt. Wir befürchten allerdings, dass die vorgesehenen Regelungen über dieses erstrebenswerte Ziel hinausschießen und Nebenwirkungen nach sich ziehen, die die Bewährungshilfe und die Straffälligenarbeit schwächen werden, wie im Weiteren näher ausgeführt.
     
  3. Die Regelung des Abs. 1 des zukünftigen § 496 StPO soll die Rechtsgüterabwägung durch die Bewährungshelfer vereinfachen und Rechtssicherheit geben. In der Begründung wird der Eindruck erweckt, als würden die Offenbarungspflichten nicht verändert. Dem muss widersprochen werden. Zum einen enthält der Abs. 1 zwei Alternativformulierungen: zum einen dürfen personenbezogene Daten von Verurteilten übermittelt werden, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben, die persönliche Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung Dritter erforderlich ist und zum anderen zur ‚Sicherung der Zwecke der Bewährungshilfe‘.
    Die Begründung des Gesetzentwurfs selbst erwähnt knapp, aber zutreffend die gesamte Bandbreite des Auftrags eines Bewährungshelfers und damit auch die Bandbreite an Informationen aus allen relevanten Persönlichkeitsbereichen des Probanden, die beim Bewährungshelfer anfallen können. Dieser letzte Halbsatz ist damit so allgemein, dass er allein schon die Schweigepflicht des Bewährungshelfers praktisch komplett aushebeln könnte. Er sollte deshalb gestrichen werden, zumal das Verhältnis dieser Alternative zur vorangehenden alles andere als klar ist: In der ersten Alt. fällt die Güterabwägung nachvollziehbar zugunsten einer Offenbarungspflicht aus, weil es an der herausgehobenen Schutzbedürftigkeit der dort abschließend aufgeführten Rechtsgüter keinen ernsthaften Zweifel geben kann. Zu den „Zwecke[n] der Bewährungshilfe“ (2. Alternative) gehört allerdings auch die Wiedereingliederung in ein möglichst straffreies Leben. Es ließe sich also nach dieser Alternative auch die Datenweitergabe dann rechtfertigen, wenn lediglich niedrigschwellige Delinquenz droht, die möglicherweise nur knapp oberhalb eines nichtdelinquenten, eher gemeinlästigen Verhaltens liegt. Auch wenn die Entwurfsverfasser dies gar nicht beabsichtigt haben mögen, kann diese Alternative nach der vorliegenden Formulierung ohne weiteres zur Begründung einer Offenbarungspflicht herangezogen werden, wenn lediglich gewaltlose Vermögensdelinquenz, u. U. im Bagatellbereich droht.

    Die erste Alternative formuliert möglicherweise nur eine Selbstverständlichkeit. Im Kern enthält sie eine Rechtsgüterabwägung, die bereits nach dem geltenden Recht wohl zu dem gleichen Ergebnis gelangen würde. Immerhin aber sind die in die Abwägung einzustellenden Rechtsgüter klar benannt. Es handelt sich damit um die konkrete Kodifizierung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für diese Konstellation, und in diesem Sinne ist sie zu begrüßen, weil sie der Bewährungshilfe Entscheidungs- und Handlungssicherheit vermittelt. Fraglich ist aber, inwieweit in der Praxis aus der Erlaubnis zur Datenübermittlung, gegebenenfalls durch entsprechende Weisungen des Dienstherrn, schnell eine Verpflichtung zur Datenübermittlung wird und sich das Ermessen der Bewährungshelfer und Bewährungshelferinnen auf Null reduziert. Dies aber würde neben die Prognose des § 56 Abs. 1 StGB („wenn zu erwarten ist…“) durch das Gericht eine ständige Prognose zur Gefahrenabwehr durch die Bewährungshilfe notwendig machen mit sehr niedrigen und unbestimmten Anforderungen: also gerade das Gegenteil von Rechtssicherheit und Stärkung der Bewährungshilfe. Zumindest sollte klarer definiert werden, welches Ausmaß an Gefahr gemeint ist angesichts der Tatsache, dass § 56d Abs. 1 StGB die Unterstellung einer verurteilten Person ausdrücklich an die Voraussetzung knüpft, dass dies angezeigt ist, „um sie von Straftaten abzuhalten“.

    Das Gericht darf also überhaupt nur zu einer Bewährungsaufsichtsunterstellung kommen, wenn eine latente Gefahr für die Rechtsgüter besteht, eine Gefahr jedenfalls, die erhöht ist im Vergleich zu sonstigen Bürgern. Diese latente erhöhte Gefahr nun durch eine Prognose im Alltag abzugrenzen von einer nochmals erhöhten Gefahr, die eine besondere Gefahrenabwehr notwendig macht, wird sehr schwer möglich sein, zumal den Fachkräften der Bewährungshilfe keine gutachterliche Unterstützung zur Verfügung steht, wie sie für strukturell ähnliche gerichtliche Prognoseentscheidungen herangezogen werden kann. Verantwortet werden kann eine solche Formulierung unseres Erachtens nur dann, „wenn bestimmte Tatsachen dies zur Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben, die persönliche Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung Dritter erforderlich erscheinen lassen“.
     
  4. Die Würdigung von Abs. 2 des geplanten § 496 StPO fällt anders aus. Die Übermittlung von personenbezogenen Daten von Verurteilten an die Einrichtungen des Justiz- und Maßregelvollzugs zur Förderung der Vollzugs- und Behandlungsplanung oder der Entlassungsvorbereitung ist zu begrüßen. Eine Verbesserung der Kooperation und Schaffung von mehr Rechtssicherheit diesbezüglich bedeutet tatsächlich eine Stärkung der Bewährungshilfe und Straffälligenarbeit. § 74 Abs. 4 des Berliner Justizvollzugsdatenschutzgesetz sieht solche Übermittlung heute schon vor. Fraglich ist jedoch, ob dazu eine Reduzierung der Schweigepflicht gemäß § 203 StGB notwendig ist. Im Gegensatz zur Fallgruppe in Abs. 1 können die inhaftierten Verurteilten regelmäßig ohne großen Aufwand nach Ihrer Einwilligung zur Datenoffenbarung befragt werden - das trifft den Kern des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung.

    Man kann davon ausgehen, dass 80-90 % der Gefangenen eine solche Einwilligung geben und soweit Sie das nicht tun, ist auch das zu interpretieren. Der Hinweis in der Begründung, dass Gefangene die Unwahrheit sagen könnten oder sich nicht genau erinnern, kann unseres Erachtens kein Argument zur Beschneidung ihres Grundrechts sein - im Übrigen erinnern sich auch Patienten, die zu einer internistischen oder chirurgischen Behandlung in eine Klinik kommen zuweilen nicht exakt an die Diagnosen und bisherigen Therapien des behandelnden Hausarztes und dennoch wird man deshalb nicht die ärztliche Schweigepflicht aufheben. Wenn also unseres Erachtens die Erlaubnis zur Übermittlung personenbezogener Daten von Verurteilten durch § 496 StPO Abs. 2 nicht erforderlich ist, so ist sie zumindest insoweit unproblematisch, als gegenüber dem Vollzug nur das berichtet wird, was über die Lebensführung sowie gröbliche und beharrliche Verstöße gegen Auflagen, Weisungen, Anerbieten und Zusagen auch gemäß § 56d Abs. 3 StGB gegenüber dem bestellenden Gericht berichtet werden muss. Denn insoweit kann der Proband ohnehin nicht mit der Vertraulichkeit rechnen. Wenn dieser Weg gegangen werden soll (vgl. die Bedenken oben), dann sollte die Formulierung zumindest klarstellen, dass ohne Einwilligung des Probanden nicht mehr berichtet wird als das, was der Bewährungshelfer auch befugt ist, an das Gericht zu berichten.
     
  5. Es ist unseres Erachtens zu befürchten, dass das Institut der Bewährungshilfe weniger gestärkt als letztlich geschwächt wird. Wer als Proband befürchten muss, dass alles offenbart und übermittelt wird, was er seinem Bewährungshelfer oder seiner Bewährungshelferin anvertraut, der wird seine Aussagen möglicherweise entsprechend gestalten. Ein intensiver Austausch und ein vertrauensvolles Gespräch beispielsweise über Phantasien und Versuchungen weit unterhalb der Schwelle von Verstößen gegen Auflagen und Weisungen und ohne direkte Auswirkungen auf die Lebensführung wird kaum noch möglich sein, wenn der Bewährungshelfer oder die Bewährungshelferin dies zur Gefahrenabwehr regelmäßig übermitteln muss. Letztlich kann die Bewährungshilfe dadurch zukünftig weniger zur Gefahrenabwehr und zum Rechtsgüterschutz beitragen.
     
  6. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass eine erneute Inhaftierung eines Probanden der Bewährungshilfe nicht unbedingt aufgrund erneuter Straftaten (Rückfälligkeit) erfolgen muss, sondern auch Ergebnis späterer Ermittlungen und Strafverfahren aufgrund früherer Delikte sein kann. Dann liegt der Anlass der Inhaftierung und damit der Erlaubnis zur Datenübermittlung durch den Bewährungshelfer oder die Bewährungshelferin möglicherweise vor der Bestellung der Bewährungshilfe und somit dem Aufbau des Vertrauensverhältnisses. Der Proband oder die Probandin hat in diesen Fällen durch sein Verhalten während der Unterstellungszeit keinen Anlass für die Datenübermittlung gegeben.

Insgesamt sind wir skeptisch, ob der Inhalt des Gesetzes zum Titel passt und ob mit diesem Gesetzeswortlaut das Ziel zu erreichen sein wird, das der Gesetzestitel vorgibt.

Im Namen des Präsidiums
Prof. Dr. Heinz Cornel, Präsident des DBH-Fachverbands

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