Stellungnahme vom Februar 2007 zu den Referentenentwürfen der Länder zu den Jugendstrafvollzugsgesetzen

Datum: 
2007-02-14 00:00:00 bis 2017-01-23 00:00:00

Ausgangslage:

In Deutschland gibt es bis heute kein Gesetz, welches den Vollzug einer Jugendstrafe im gebotenen Umfang regelt. Im Jugendgerichtsgesetz von 1953 (JGG) findet man lediglich Programmsätze in den §§ 91 und 92. Detailregelungen fehlen, beispielsweise solche, die Auskunft darüber geben, ob die Post eines zu Jugendstrafe Verurteilten kontrolliert wer-den darf oder nicht. Das Strafvollzugsgesetz von 1976 (StVollzG) bezieht sich auf den Erwachsenenstrafvollzug. Um wenigstens die allerdringlichsten Lücken zum Jugendstrafvollzug fürs Erste zu füllen, hatte der Gesetzgeber dort zwei Sondervorschriften ein- gefügt. So findet sich in § 176 eine Regelung über das Arbeitsentgelt in Jugendstrafan- stalten. In § 178 finden sich Bestimmungen über die Anwendung unmittelbaren Zwangs. In der Praxis wird der Jugendstrafvollzug bis heute also ohne ausreichende gesetzliche Grundlage betrieben.

Es war deswegen alles andere als überraschend, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Zustand in seiner Entscheidung vom 31.05.2006 - BvR 1673/04 und 2 BvR 2402/04 - als nicht verfassungskonform tadelte und den bis dahin aus vorwiegend fiskalischen Gründen untätigen Gesetzgeber verpflichtete, bis zum 01.01.2008 eine ausrei- chende gesetzliche Grundlage für den Jugendstrafvollzug zu schaffen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung auch gleich ein paar Eckstei- ne für künftige Regelungen gesetzt, die es verdienen, hier kurz in Erinnerung gerufen zu werden:

Das in § 2 Satz 1 StVollzG genannte Resozialisierungsziel im Erwachsenenvollzug bzw. das in § 91 Absatz 1 JGG genannte Erziehungsziel wird mit Verfassungsrang ausgestattet. Jede Abkehr davon wäre mithin verfassungswidrig. Dem Anliegen, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen, ist nicht durch schlichtes Wegsperren, sondern durch Resozialisierung bzw. Erziehung zu genügen.

Die Beziehungen der Gefangenen im Jugendstrafvollzug zu ihren Familien sind besonders zu fördern. Die Besuchsmöglichkeiten der Familien müssen um ein Mehrfaches über denen im Erwachsenenvollzug (§ 24 Absatz 1 Satz 2 StVollzG: mindestens 1 Stunde im Monat) angesetzt werden. Das Erziehungsrecht der El- tern noch nicht volljähriger Gefangener ist zu berücksichtigen.

Soziale Kontakte innerhalb der Anstalt sind zu gewährleisten. Sie dürfen einer-seits nicht unnötig beschränkt werden. Andererseits sind die Gefangenen wirksam vor wechselseitigen Übergriffen zu schützen.

Die Rechtsschutzmöglichkeiten im Jugendstrafvollzug müssen mit Rücksicht auf den Umstand ausgestaltet werden, dass die Gefangenen im Jugendstrafvollzug häufig nicht in der Lage sind, schriftliche Eingaben zu machen. Eine mündliche Beschwerdemöglichkeit ist zu gewährleisten.

Der Gesetzgeber muss ein wirksames Resozialisierungskonzept entwickeln. Die hierfür notwendigen personellen und finanziellen Mittel sind kontinuierlich vom Staat bereitzustellen. Es sind vorzusehen:

  • Ausreichende Unterbringungsmöglichkeiten,
  • ausreichende pädagogische und therapeutische Betreuung,
  • ausreichende Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, welche auch nach ei- ner Entlassung weiterhin in Anspruch genommen werden können, und
  • eine mit angemessenen Hilfen für die Zeit nach der Entlassung verzahnte Ent- lassungsvorbereitung.

Die Ausgestaltung des Vollzuges muss den jeweiligen wissenschaftlichen Er- kenntnissen nicht nur des eigenen Landes entsprechen. Um diese gewinnen zu können, ist namentlich eine aussagekräftige statistische Erhebung durchzuführen, die bis auf die Ebene der einzelnen Anstalten erkennen lässt, welche Erfolge mit welchen Methoden erreicht werden konnten.

Das Bundesjustizministerium hatte nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes am 07.06.2006 einen Entwurf für ein Gesetz zur Regelung des Jugendstrafvoll- zuges vorgelegt. Die dort vorgesehen Regelungen erfüllen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

Durch die Streichung der Worte „und den Strafvollzug“ in Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes (GG) durch das am 01.09.2006 in Kraft getretene Gesetz zur Ände- rung des Grundgesetzes vom 28.08.2006 (Bundesgesetzblatt I Seite 2034) hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis für den Strafvollzug insgesamt, also auch für den Jugendstrafvollzug, verloren. Nach Artikel 70 Absatz 1 GG sind damit jetzt die Länder für die Regelung des Strafvollzuges zuständig. Soweit der Bund aufgrund der bis zum 31.08.2006 bestehenden Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des Strafvoll- zugs Gesetze erlassen hat (wie das genannte StVollzG und die §§ 91 und 92 JGG), bleiben diese nach dem neuen Artikel 125 a Absatz 1 GG bis zu einer Ablösung durch Landesrecht weiterhin gültig.

Die vom Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber auferlegte Verpflichtung, bis zum Jahresende 2007 den Jugendstrafvollzug gesetzlich zu regeln, trifft damit jetzt die Lan- desgesetzgeber. Diese Folge der Föderalismusreform ist vielfach beklagt worden, weil man eine Rechtszersplitterung in Deutschland befürchtet und Sorge hat, dass die Quali- tät des Strafvollzugs insgesamt, besonders aber des Jugendstrafvollzugs, allzu sehr der Kassenlage angepasst werden könnte.

Die Hoffnung, dass sich die Länder auf einen einheitlichen Entwurf für ein Jugendstraf- vollzugsgesetz einigen könnten, hat sich nicht erfüllt. Damit werden sich Praxis, Theorie und Politik mit einer Vielfalt von jetzt noch Reformvorhaben und später dann Gesetzen und ggf. ergänzenden Rechts- oder Verwaltungsverordnungen zu beschäftigen haben.

Im Vorfeld der Neuregelung(en) haben sich verschiedene Vereinigungen und Wissen- schaftler geäußert. Erwähnt sei davon hier die gemeinsame Erklärung von DVJJ, DBH, ADB und BAG Sozialdienst im Vollzug über „Mindeststandards zum Jugendstrafvollzug“ vom Februar 2007. In den 23 Punkten dieser Erklärung wird außer den oben berichteten Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts insbesondere gefordert,

  • dass Regelvollzug der offene Vollzug sein soll,
  • dass Gefangene einen Anspruch auf Einzelunterbringung im Rahmen einer Wohngruppe mit nicht mehr als 12 Gefangenen in Anstalten von maximal 240 Haftplätzen haben sollen,
  • dass Disziplinarmaßnahmen nur nach gescheiterter oder unangemessener Kon- fliktregelung ergriffen werden sollen und
  • dass die kriminologischen Lehrstühle an der Wirkungsforschung und Vollzugseva- luation zu beteiligen sind.

Bemerkungen zu den einzelnen Gesetzentwürfen der Länder:

Im Folgenden werden die bislang veröffentlichten Gesetzentwürfe der Länder Bay- ern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Thüringen, Bremen, Berlin und Branden- burg vergleichend vorgestellt und anhand der  Anforderungen des Bundesverfas- sungsgerichts bewertet.

Bayern

Bayern hat am 04.12.2006 einen Entwurf für ein Gesetz über den Vollzug der Frei- heitsstrafe, der Jugendstrafe und der Sicherungsverwahrung (Bayerisches Strafvollzugsgesetz) vorgelegt.

In diesem Entwurf werden der Vollzug der Freiheitsstrafe im zweiten Abschnitt, der Vollzug der Jugendstrafe im dritten Abschnitt und der Vollzug der Sicherungsverwahrung im vierten Abschnitt geregelt. Die weiteren Abschnitte befassen sich mit den Vollzugsbehörden, dem Datenschutz und anderen Fragen.

Zumindest rhetorisch entfernt sich der Entwurf deutlich von der Diktion des Bundes- verfassungsgerichts:

So liest man in Artikel 2 (Aufgaben des Vollzugs): „Der Vollzug der Freiheits- strafe dient dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Er soll den Gefan- genen befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu füh- ren (Behandlungsauftrag).“

Im Artikel 121 (Aufgaben des Jugendstrafvollzugs) heißt es: „Der Vollzug der Jugendstrafe dient dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten. Der Ge- fangene im Vollzug der Jugendstrafe (junger Gefangener) soll dazu erzogen werden, künftig einen rechtschaffenen Lebenswandel in sozialer Verantwortung zu führen (Erziehungsauftrag).“

Das Bundesverfassungsgericht hatte zu diesem Thema geschrieben: „Der Vollzug der Freiheitsstrafe muss auf das Ziel ausgerichtet sein, dem Inhaftierten ein künftiges straffreies Leben in Freiheit zu ermöglichen.“ „…nur ein auf soziale Integra- tion ausgerichteter Strafvollzug (entspricht) der Pflicht zur Achtung der Menschen- würde jedes Einzelnen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlichen Stra- fens...“ „Zugleich folgt die Notwendigkeit, den Strafvollzug am Ziel der Resozialisie- rung auszurichten, auch aus der staatlichen Schutzpflicht für die Sicherheit aller Bür- ger. Zwischen dem Integrationsziel des Vollzugs und dem Anliegen, die Allgemein- heit vor weiteren Straftaten zu schützen, besteht insoweit kein Gegensatz.“

Dass die Abweichung in dem bayerischen Entwurf nicht versehentlich erfolgt ist, wird auch aus der Formulierung des Artikel 4 deutlich, der nach Artikel 122 auch für den Vollzug der Jugendstrafe gilt: „Der Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten wird durch eine sichere Unterbringung und sorgfältige Beaufsichtigung der Gefangenen, eine gründliche Prüfung vollzugsöffnender Maßnahmen sowie geeigne- te Behandlungsmaßnahmen gewährleistet.“ In Artikel 3 ist die Behandlung allerdings korrekt beschrieben.

Regelvollzugsform sowohl im Erwachsenenvollzug als auch im Jugendvollzug ist der geschlossene Vollzug.

Die Unterbringung während der Ruhezeit erfolgt allein, sofern keine Hilfsbedürftigkeit oder Lebens- bzw. Gesundheitsgefahr besteht oder die räumlichen Verhältnisse der Anstalt eine Mehrfachbelegung von Räumen erfordern; maximal dürfen 8 Gefangene gemeinschaftlich untergebracht werden (Artikel 20, 139). Ob auf diese Art und Weise bei starker Belegung der vom Verfassungsgericht angemahnte Schutz vor wechsel- seitigen Übergriffen gewährleistet werden kann, erscheint fraglich.

Im Jugendstrafvollzug sind Wohngruppen, „deren Größe sich nach dem Erziehungs- auftrag bemisst“, für geeignete junge Gefangene vorgesehen (Artikel 140).

Die Entlassungsvorbereitung ist in § 136 geregelt. Soweit dort steht: „Die Bewäh- rungshilfe und die Jugendämter werden bei Bedarf unterrichtet“, dürfte das im Regel- fall nicht ausreichen. Die für eine nahtlos anschließende Betreuung notwendige Kon- taktaufnahme ist schon während des Vollzuges zu gewährleisten.

Die Fortsetzung einer im Vollzug begonnen Ausbildung oder Behandlung nach der Entlassung ist in Artikel 137 Absatz 2 vorgesehen.

Soweit nichts anderes gestattet wird, ist Anstaltskleidung zu tragen (Artikel 22, 142).

Die monatliche Besuchsdauer im Vollzug der Jugendstrafe beträgt mindestens 4 Stunden (Artikel 144 Absatz 2), im Erwachsenenvollzug 1 Stunde (Artikel 27 Absatz

1).

Die Möglichkeit, sich an Anstaltsleitung und Aufsichtsbehörde zu wenden, ist gege- ben (Artikel 115).

Im Übrigen bleiben nach Artikel 203 die Bestimmungen der §§ 109-121 des (Bundes) Strafvollzugsgesetzes in Kraft.

Das bedeutet, dass es nach wie vor an einer ausreichenden Regelung von Rechtsbehelfen im Jugendstrafvollzug fehlt, denn die §§ 109-121 StVollzG re- geln nur den Erwachsenenstrafvollzug.

Ohne eine besondere Regelung müsste deswegen im  Jugendstrafvollzug auch künftig auf die Rechtsbehelfsmöglichkeit des § 23 EGGVG zurückgegrif- fen werden, die vom Bundesverfassungsgericht als unzulänglich gerügt wor- den ist: „…der Rechtsweg zum Oberlandesgericht nach §§ 23 ff. EGGVG ge- nügt den Anforderungen eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht.“.

Der Entwurf des Bundes hatte insoweit in § 35 eine Zuständigkeit der örtlichen Jugendkammer vorgesehen, welche schriftlich oder zu Protokoll der Ge- schäftsstelle hätte angerufen werden können.

Wer für die Regelung des gerichtlichen Verfahrens zuständig ist, ist gegenwärtig wohl noch nicht abschließend geklärt. Sofern der Bund insoweit zuständig geblieben sein sollte, ist er gefordert, alsbald eine Regelung für das gerichtliche Verfahren zur Überprüfung von Anordnungen der Vollzugsbehörden im Jugendstrafvollzug zu schaffen, die den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts  genügt.  Sofern eine Zuständigkeit der Länder bestehen sollte, wären diese gefordert. Es besteht insgesamt dringender Bedarf zur raschen Klarstellung.

Baden-Württemberg

Baden-Württemberg hat Mitte Januar 2007 einen Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Jugendstrafe in Baden-Württemberg (Jugendstrafvollzugsgesetz Baden- Württemberg) und den Entwurf eines Gesetzes über den Datenschutz im Justizvoll- zug in Baden-Württemberg vorgelegt. Anders als Bayern will Baden-Württemberg also vorerst nur den Jugendstrafvollzug eigenständig regeln. Für den Erwachsenen- vollzug bleibt es in Baden-Württemberg bei den Regelungen des Strafvollzuggeset- zes (Bund).

Der Entwurf des Jugendstrafvollzugsgesetztes behauptet von sich selbst, er sei wei- testgehend haushaltsverträglich und arbeite deswegen mit Soll- und Ermessensvor- schriften, um nur in wenigen Fällen einklagbare subjektive Rechte der jungen Gefan- genen zu begründen. Man hält wegen der im Entwurf vorgesehenen Übertragung von nicht hoheitlichen Betriebsaufgaben und Unterstützungsleistungen auf freie Trä- ger oder private Dienstleister sogar Kostensenkungen für möglich.

In § 2 ist die Aufgabe des Jugendstrafvollzugs wie folgt beschrieben: „Die kriminal- präventive Aufgabe des Jugendstrafvollzuges liegt im Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Straftaten junger Menschen. Der Jugendstrafvollzug leistet einen Beitrag für die innere Sicherheit in Baden-Württemberg, für den Rechtsfrieden im Land und für die Eingliederung junger Menschen in Staat und Gesellschaft.“

Nach § 7 Absatz 2 ist eine Einzelunterbringung von jungen Gefangenen in der Ruhe- zeit erst beim Bau neuer Jugendstrafanstalten vorgesehen. In § 9 ist bestimmt, dass ein Haftraum nur dann mit mehreren Personen belegt werden darf, wenn er über ein separates WC verfügt. Ansonsten richtet sich die Möglichkeit der Mehrfachbelegung nach der Größe des Haftraumes. Künftig muss dabei für jeden Gefangenen mindes- tens eine Grundfläche von 7 Quadratmetern zur Verfügung stehen (§ 7 Absatz 2 Satz 2); bei bereits bestehenden Anstalten müssen 4,5 Quadratmeter bei einer Dop- pelbelegung und 6 Quadratmeter bei einer Mehrfachbelegung ausreichen (§ 9 Ab- satz 2).

Insoweit ändert auch der Programmsatz in § 33 Absatz 3 Satz 2 („Im geschlossenen Vollzug sollen die jungen Gefangene zur Ruhezeit einzeln untergebracht werden.“) nichts an der Realität.

Ganz offensichtlich passt man dabei den Soll-Zustand dem Ist-Zustand an, obwohl erkannt wurde, dass der Ist-Zustand eigentlich unzureichend ist.

Ob damit der vom Verfassungsgericht angemahnte Schutz vor wechselseiti- gen Übergriffen gewährleistet werden kann, erscheint fraglich.

Leider wird auch kein Zeitraum genannt, bis zu dem der als notwendig erkannte Zustand (reguläre Einzelunterbringung) hergestellt sein muss. § 19 des Entwurfes eines Bundesgesetzes zur Regelung des Jugendstrafvollzuges ging da wesentlich weiter und hat keine Rücksicht auf die Finanznöte der Länder genommen

§ 19 regelt die für die Fortentwicklung notwendigen kriminologischen Untersuchungen.

In § 21 wird dann der Erziehungsauftrag korrekt formuliert.

In § 22 Absatz 2 werden die Erziehungsgrundsätze wie folgt formuliert: „Die jungen Gefangenen sind in der Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen“.

Diese Grundsätze sind aus Artikel 12 Absatz 1 der Landesverfassung aus dem Jahre 1953 übernommen worden, wo dort „die Jugend“ insgesamt statt der „jungen Gefangenen“ angesprochen ist. Soweit, so gut. Jedoch:

Der inhaftierte junge Moslem, Agnostiker usw. wird sich damit sicherlich nicht anfreunden können, sondern es als eine Zumutung empfinden.

In einem modernen Gesetz hätte man eine weltanschaulich neutrale Formulierung des unverändert gültigen Wertekanons erwartet.

Wer aus Gründen weltanschaulicher Neutralität islamische Kopftücher aus Schulen und Kindergärten verbannt, darf Moslems, Agnostiker usw. in Zwangssituationen (Haft) nicht unter das christliche Kreuz zwingen.

§ 27 regelt die verschiedenen Formen des Jugendstrafvollzugs, nämlich die Verbüßung in Einrichtungen der Jugendhilfe sowie dann den offenen und geschlossenen Vollzug.

Nach § 35 tragen die Gefangenen grundsätzlich eigene Kleidung.

Die monatliche Besuchsdauer ist in § 38 auf mindestens 4 Stunden festgelegt.

Die Beteiligung der Erziehungsberechtigten ist an mehreren Stellen des Entwurfs insgesamt angemessen geregelt.

Die Möglichkeit, eine während des Vollzuges angefangene Ausbildung oder Behand- lung auch danach fortzusetzen, ist gegeben (§ 32 Absatz 4).

Die Entlassungsvorbereitung ist in § 58 geregelt. Die Regelung ist etwas blass und verhält sich insbesondere nicht zu dem Regelfall, dass einem auf Bewährung entlassenen Jugendlichen ein Bewährungshelfer beigeordnet wird. Man hätte sich eine Regelung gewünscht, dass die Kontaktaufnahme des Bewährungshelfers schon in der Vollzugsanstalt beginnt und dann nahtlos fortgesetzt wird, um den besonders schädlichen unbetreuten Zeitraum zwischen Entlassung und Erstkontakt mit dem Bewährungshelfer zu vermeiden.

§ 101 regelt das Recht, sich an Anstaltsleitung und Aufsichtsbehörde zu wenden.

In den §§ 101 ff. ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung geregelt. Er kann schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle gestellt werden. Für die Entscheidung zuständig ist der Vollstreckungsleiter, in dessen Bezirk die Jugendstrafanstalt liegt, also der örtlich zuständige Jugendrichter. Gegen seine Entscheidung ist die Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht vorgesehen. Baden-Württemberg stellt sich damit auf den Standpunkt, auch die Gesetzgebungskompetenz für das mit dem Strafvollzug verbundene gerichtliche Verfahren zu haben.

Niedersachsen

Niedersachsen hat wie Bayern einen Entwurf eines umfassenden Gesetzes zur Neuregelung des Justizvollzugs (Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz) vorgelegt.

Wenig übersichtlich gelten eine ganze Reihe von Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes (Bund) nach § 193 aber gleichwohl weiter, zum Beispiel das gerichtliche Rechtsbehelfsverfahren nach §§ 109-121 Strafvollzugsgesetz (Bund).

Der Vollzug der Jugendstrafe wird dort im vierten Teil geregelt. Zum Vollzugsziel formuliert § 111: „Im Vollzug der Jugendstrafe sollen die Gefangenen fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Zugleich dient der Vollzug der Jugendstrafe dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.“

Die Beteiligung der Personensorgeberechtigten ist an mehreren Stellen angemessen geregelt.

Während der Ruhezeit sind die Gefangenen nach § 118 Absatz 3 ohne ihre Zustimmung allein in Hafträumen unterzubringen, sofern keine Hilfebedürftigkeit oder Gefahr besteht.

Die Regelung der Entlassungsvorbereitung in § 117 erwähnt die Beteiligung der Be- währungshilfe nicht ausdrücklich. Dies sollte geändert werden. In der Mehrzahl der Fälle wird ein Bewährungshelfer den Kontakt möglichst schon während des Vollzuges suchen müssen, um einen nahtlosen Übergang zu ermöglichen.

Nach § 120 wird grundsätzlich Anstaltskleidung getragen.

Die Besuchszeit beträgt nach § 121 Absatz 2 mindestens 4 Stunden im Monat.

Die Möglichkeit, eine während des Vollzugs begonnene Ausbildung auch nach der Entlassung abzuschließen, ist in § 123 geregelt.

Das Recht, sich an die Anstaltsleitung und Aufsichtsbehörde zu wenden, ist in § 128 in Verbindung mit § 101 geregelt.

Ein gerichtliches Verfahren für Anträge auf gerichtliche Entscheidung gibt es nach dem niedersächsischen Entwurf im Jugendstrafvollzug nicht. Niedersachsen geht damit wie Bayern offenbar von einer fortbestehenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus.

Vorbildlich ist die Evaluation in § 182 geregelt.

Thüringen

Thüringen beabsichtigt wie Baden-Württemberg nur eine Regelung des Vollzuges der Jugendstrafe und hat einen Entwurf eines Thüringer Jugendstrafvollzugsgeset- zes vorgelegt.

Ziel und Aufgabe sind in § 2 korrekt beschrieben: „Der Vollzug dient dem Ziel, die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Strafta- ten zu führen. Gleichermaßen hat er die Aufgabe, die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen.“

Die Einbeziehung der Personensorgeberechtigten ist unter anderem in § 7 Absatz 3 geregelt.

§ 13 bestimmt, dass eine Unterbringung im offenen Vollzug zu erfolgen hat, soweit die Gefangenen dessen Anforderungen genügen.

§ 19 regelt die Entlassungsvorbereitung. Hier ist die Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe ausdrücklich genannt.

Die Weiterführung von während des Vollzuges begonnenen Ausbildungen ist nach § 22 auch nach der Entlassung möglich.

Nach § 25 dürfen Gefangene in der Ruhezeit ohne ihre Zustimmung nur einzeln untergebracht werden, sofern keine Hilfsbedürftigkeit oder Gefahr besteht. Thüringen hat damit wie Niedersachsen die Regelung aus dem Entwurf des Bundesgesetzes übernommen.

Wohngruppen sind in § 26 geregelt. Deren Größe wird nicht festgelegt. Gemäß § 30 wird regelmäßig Anstaltskleidung getragen.

Die Besuchsdauer beträgt nach § 47 mindestens 4 Stunden im Monat.

Das Recht, sich an die Anstaltsleitung und die Aufsichtsbehörde zu wenden, ist in § 87 vorgesehen.

Die Evaluation des Jugendstrafvollzugs wird in § 97 geregelt.

Da sich zum Verfahren auf gerichtliche Entscheidung keine Normen finden lassen, geht auch Thüringen offenbar weiterhin von einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus.

Bremen

Bremen beabsichtigt wie Baden-Württemberg und Thüringen nur eine Regelung des Vollzuges der Jugendstrafe und hat am 30.01.2007 einen Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Jugendstrafe im Land Bremen vorgelegt. Der Text ist mit dem Thüringer Entwurf weitgehend identisch, so dass nur auf Besonderheiten eingegangen wird.

Anders als im Thüringer Entwurf und insoweit ähnlich wie in dem Entwurf von Baden- Württemberg wird in § 30 bestimmt, dass die Gefangenen grundsätzlich eigene Klei- dung tragen.

Eine Bremer Besonderheit wird mit der geringen Anzahl der Gefangenen im Jugend- strafvollzug begründet. Nach § 98 soll die Jugendstrafe nicht in eigenen Jugendstrafanstalten, sondern in Teilanstalten oder getrennten Abteilungen von Erwachsenenvollzugsanstalten vollzogen werden. Diese Regelung ist kritisch zu hinterfragen. Wichtig ist namentlich,

dass die Gefangenen des Jugendstrafvollzugs zum einen die für sie notwen- digen Hilfen tatsächlich bekommen, was nach dem Entwurf von Bremen explizit der Fall sein soll, und dass die jungen Gefangenen zum anderen auch räumlich von den älteren Ge- fangenen klar getrennt bleiben, um mögliche schädliche Einflüsse zu vermeiden. Hier wird es sehr auf die praktische Ausgestaltung vor Ort ankommen.

Auch Bremen regelt das gerichtliche Verfahren nicht und geht demnach offenbar davon aus, dass der Bund zuständig ist.

Berlin und Brandenburg

Die von Berlin und Brandenburg vorgelegten Entwürfe sind weitgehend deckungs- gleich mit dem Entwurf von Thüringen. Das zum Thüringer Entwurf Gesagte gilt da- her auch für die Entwürfe von Berlin und Brandenburg.

Vorläufige zusammenfassende Bewertung der Gesetzentwürfe der Länder aus DBH-Sicht

Die rechtspolitische und gesetzgeberische Entwicklung ist noch im Fluss. Manche Stärken oder Schwächen einzelner Konzepte werden erfahrungsgemäß – vom eigentlichen Realitätstest in der Alltagspraxis einmal abgesehen – erst dann deutlich sichtbar, wenn man ausgewählte Problemkomplexe in der Wechselwirkung verschie- dener Normen analytisch durcharbeitet oder wenn man nach Art von Planspielen bestimmte Anträge, Verfahren und Entscheidungen in einzelnen Regelungsbereichen präzise Schritt für Schritt durchspielt. Dies erfordert eine längere Beschäftigung mit der Materie. Gegenwärtig beschränkt sich der DBH-Fachverband daher auf eine nur vorläufige Würdigung zentraler Aspekte.

Generell lässt sich feststellen, dass alle sieben Entwürfe einander in wesentlichen Bereichen gleichen oder doch sehr ähnliche Regelungen treffen:

Der DBH-Fachverband begrüßt es namentlich, dass überall eine monatliche Besuchszeit von mindestens 4 Stunden vorgesehen wird; 

dass alle Entwürfe vorsehen, dass eine während des Vollzugs begonnene Ausbildung oder Behandlung auch nach der Entlassung fortgesetzt werden kann;

dass überall die Möglichkeit gegeben ist, dass sich die Gefangenen an die Anstaltsleitung oder die Aufsichtsbehörde wenden können;

dass in allen sieben Ländern vorgesehen ist, die zur Fortentwicklung des Jugendstrafvollzugs notwendigen kriminologischen Untersuchungen durchzufüh- ren. Am besten gefällt insoweit die Formulierung in § 182 des Entwurfs für ein Niedersächsisches Justizvollzugsgesetz.

Unterschiede gibt es bei der Pflicht, Anstaltskleidung zu tragen. Alle Entwürfe sehen aber zumindest auch das Tragen eigener Kleidung vor. In Baden-Württemberg und Bremen soll das Tragen eigener Kleidung die Regel sein, in den anderen Ländern ist die Regel das Tragen von Anstaltskleidung. Der DBH-Fachverband hat hierzu keine eigene Präferenz. Entscheidend dürfte eigentlich nur bzw. eher sein, wie die tatsäch- liche Handhabung in den Ländern ausfallen wird.

Alle Entwürfe behandeln naturgemäß auch den offenen Vollzug. Nicht in allen Län- dern wird man nach dem Entwurfstext aber davon ausgehen können, dass der offene Vollzug der Regelvollzug sein soll. Der DBH-Fachverband hält es für wichtig, dass sich jedes Land explizit dazu verhält. Im Übrigen gilt auch hier, dass die tatsächliche Handhabung nach Grundtendenz der obersten Vollzugsbehörden und dann nach flexibler Gestaltung im Alltag vor Ort in den Anstalten entscheidend sein wird.

Alle Entwürfe bezeichnen die (seit den schrecklichen Vorfällen in der Vollzugsanstalt Siegburg noch dringlicher gewordene) Einzelunterbringung in der Ruhezeit als wün- schenswert. Nur Niedersachsen, Thüringen, Bremen, Berlin und Brandenburg geben insoweit aber klare Rechte. In Bayern gibt es Einzelunterbringung nur, soweit die Be- legung der Anstalt dies zulässt. Irgendeine zeitliche Begrenzung ist nicht vorgese- hen. In Baden-Württemberg soll es eine Einzelunterbringung überhaupt nur geben, sofern neue Jugendstrafvollzugsanstalten gebaut  werden, ohne Festlegung einer

Zeitspanne. Nach Ansicht des DBH-Fachverbandes ist damit die Einzelunterbringung in Bayern und Baden-Württemberg unbefriedigend geregelt.

Keiner der Entwürfe legt sich auf eine Unterbringung in Wohngruppen einer bestimm- ten Größe fest. Ebenso findet sich keine Beschränkung der Größe einer Jugendstraf- vollzugsanstalt. Gerade zu letzterem Bereich würde der DBH-Fachverband eine ex- plizite Regelung begrüßen.

Die gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit von Entscheidungen im Vollzug hat bislang nur Baden-Württemberg, ersichtlich in der Annahme einer eigenen Gesetzgebungs- kompetenz, in einer den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechenden Art geregelt. Bayern, Niedersachsen, Thüringen, Bremen, Berlin und Brandenburg halten wohl den Bund für zuständig, die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Regelung zu treffen. Nach Ansicht des DBH-Fachverbandes hätte eine bundesein- heitliche Regelung den großen Vorteil, dass eine in diesem Bereich schädliche Rechtszersplitterung vermieden werden könnte.

Zur Unterbringung der jungen Gefangenen bemerkt der DBH-Fachverband: Wenn sich Bayern und Baden-Württemberg dazu durchringen könnten, zumindest eine zeit- liche Perspektive für die Abschaffung der unfreiwilligen Mehrfachbelegung der Zellen in den Ruhezeiten zu geben und wenn - von welchem Gesetzgeber auch immer - eine brauchbare Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung geschaffen würde, könnte man mit den Regelungen in der Praxis wohl ganz gut leben. In Bremen, welches keine besondere Jugendstrafvollzugsanstalt unterhalten will, wird man sehr darauf ach- ten müssen, dass es dennoch einen wirklich eigenständigen Jugendstrafvollzug gibt.

Ganz wichtig erscheint dem DBH-Fachverband für die von allen Entwürfen geforderte verzahnte Entlassungsvorbereitung, dass die Personen, die die Gefangenen nach ihrer Entlassung betreuen sollen, den Kontakt schon während der Inhaftierung auf- nehmen (oder halten) können. Das bedeutet beispielsweise auch, dass die Bewährungshelfer diese Möglichkeit organisatorisch, reisekostenrechtlich und von der Gesamtarbeitsbelastung her auch tatsächlich haben müssen. Das ist in Flächenländern wegen der zum Teil nicht unerheblichen Fahrtstrecken schwieriger und mit mehr Aufwand verbunden als in Stadtstaaten. Für den in allen Entwürfen geforderten bruchlosen Übergang von „drinnen“ nach „draußen“ ist dieser Punkt aber unverzicht- bar.

Für den DBH-Fachverband, im Februar 2007:

Der Präsident: Prof. Dr. H.-J. Kerner     Der Vizepräsident: PräsLG W. Eißer

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Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz

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Deutscher Präventionstag
KriPoZ Kriminalpolitische Zeitschrift

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