Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug des Jugendarrestes in Schleswig-Holstein (Jugendarrestvollzugsgesetz - JAVollzG), Drucksache 18/891 vom 04.06.2013

Datum: 
2013-12-02 00:00:00

I. Grundsätzliches
I.1 Zielvorstellungen des Gesetzgebers und Funktionen

Der Jugendarrest ist den Zuchtmitteln (§§ 13-16a JGG) zuzuordnen und stellt neben der Jugendstrafe das eingriffsintensivste Instrument der Jugendstrafrechtspflege dar. Er ist gemäß § 16 JGG mit mindestens zwei Tagen (bei Freizeit- und Kurzarrest) bis zu vier Wochen (bei Dauerarrest) Freiheitsentzug verbunden. Somit hat der Jugendarrest eindeutig ahndenden Charakter, wenn er auch nicht die Rechtswirkung einer Strafe entfaltet (§ 13 Abs. 3 JGG), d.h. die Betroffenen gelten weder als vorbestraft noch findet eine Eintragung in das Bundeszentralregister statt (vgl. Eisenberg 2009, 200)[1].

Neben der Ahndung begangener Straftaten wird gemäß § 90 Abs. 1 JGG durch die Verhängung von Jugendarrest das Ziel verfolgt, „(...) das Ehrgefühl des Jugendlichen [zu] wecken und ihm eindringlich zu Bewußtsein (!) [zu] bringen, daß (!) er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat.“ Ebenso soll der Jugendarrest „(...) dem Jugendlichen helfen, die Schwierigkeiten zu bewältigen, die zur Begehung der Straftat beigetragen haben“ (ebd.). Insbesondere Letzteres impliziert neben der Sühnefunktion eine helfende Ausrichtung des Jugendarrests. Diese die jungen Menschen unterstützende Funktion ist immer auf die Erfüllung des übergeordneten Gesetzesziels in § 2 Abs. 1 JGG – erneuten Straften entgegen zu wirken – gerichtet.

Der Jugendarrest nimmt als „Mittelstück“ innerhalb der jugendstrafrechtlichen Sanktionen den Platz zwischen den Erziehungsmaßregeln und der Jugendstrafe ein (vgl. Meier et al. 2011, 172). Damit entfaltet er eine „aufschiebende“ Wirkung gegenüber den eingriffsintensiveren Instrumenten der Jugendstrafe (Walkenhorst 2012, 1) sowie der Untersuchungshaft (so Dünkel 1990, 354). Diese Funktion gilt es bei der – durchaus berechtigten – kritischen Rezeption des Jugendarrests zu berücksichtigen.

I.2 Inhaltlicher Auftrag

Zwar ist der mit dem Jugendarrest verbundene Freiheitsentzug von mindestens zwei Tagen Ausdruck einer vom Gesetzgeber intendierten ahndenden Funktion, dennoch besteht die inhaltliche Leitlinie gemäß der §§ 2 Abs. 1 S. 2 sowie 90 Abs. 1 S. 2 JGG in der Ausrichtung am Erziehungsgedanken. Das bedeutet, dass für eine repressive Ausgestaltung des Jugendarrests keine rechtliche Grundlage besteht, sondern „Aufbauarbeit“ im Sinne des Gesetzesziels geleistet werden muss.

Konkretere Bestimmungen zur Umsetzung dieser „Aufbauarbeit“ vor Ort im Jugendarrest finden sich in § 10 JAVollzO, der bislang gültigen Rechtsgrundlage für den Jugendarrest in Deutschland[2]. Hier heißt es in Abs. 1, dass die Gestaltung des Jugendarrests der Förderung der körperlichen, geistigen und sittlichen Entwicklung der jungen arrestierten Menschen dienen soll.

Das Bundesverfassungsgericht leitete in der Begründung zu seinem Urteil vom 31.05.2006 ebenfalls einen Auftrag zur Förderung der Entwicklung junger Menschen, die sich in Institutionen der Jugendstrafrechtspflege befinden, ab, da „(...) die Freiheitsstrafe [auf den jungen Menschen] in einer Lebensphase ein[wirkt], die auch bei nicht delinquentem Verlauf noch der Entwicklung zur Persönlichkeit dient, die in der Lage ist, ein rechtschaffenes Leben in voller Selbständigkeit zu führen“ ([vgl. BVerfGE 116, 69 (86f.)]). Deshalb – so das Bundesverfassungsgericht weiter – müsse die Ausgestaltung freiheitsentziehender Maßnahmen insbesondere auf die Förderung der jungen Menschen abgestellt sein.

Unter Einbezug erziehungswissenschaftlicher Standards professionell pädagogischen Handelns bedeutet die konsequente Förderung junger Menschen, ihnen zahlreiche Gelegenheiten zum Erlernen prosozialer Verhaltensweisen zur Verfügung zu stellen (vgl. Giesecke 1996, 15). Damit einher geht die Verpflichtung für pädagogisches Personal, Lernsituationen in diesem Sinne zu kreieren, zu arrangieren und zu moderieren sowie den gesamten Alltag – vom morgendlichen Wecken bis zur Nachtruhe – als Lernfeld zu verstehen und auszugestalten.

Solche Lernsituationen und -themen sind allerdings nicht beliebig und nur dann als Erziehung zu bezeichnen, wenn sie der Förderung der Persönlichkeit zum Ziele der Verselbstständigung und Mündigkeit dienen (Geißler 2006, 56; ebenso Brezinka 1977, 91). Das Lernen selbst wird definiert als tiefgreifende Veränderung(en) im Verhalten und Erleben eines Menschen (vgl. Kiesel & Koch 2012, 11) und berührt somit den Kern von Erziehung, die immer die Einwirkung auf das psychische Dispositionsgefüge (also Verhaltensbereitschaften) der Adressatenschaft intendiert. Es kann dabei um den Ausbau vorhandener – und erwünschter – Dispositionen, das Schaffen noch nicht vorhandener – und ebenfalls erwünschter – oder um die Beseitigung von als schädlich angesehenen Dispositionen gehen (vgl. Brezinka 1990, 84).

Unter Berücksichtigung des – begrenzenden –  gesetzlichen Auftrags des Jugendarrests müssten hier diejenigen psychischen Dispositionen der jungen Menschen in den Blick genommen werden, die dem Auf- oder Ausbau sozial verantwortlichen sowie der Reduzierung oder dem Abbau straffälligen Verhaltens dienen.

Dabei unterliegt erzieherisches Handeln keiner „Ursache-Wirkung-Logik“, denn „Ergebnisse von Erziehung sind ungewiss“ (Giesecke 1996, 77). Eine „pädagogische Technologie“, die von der Formbarkeit von Persönlichkeiten ausgeht, ist illusorisch (vgl. ebd., 16) und angesichts des freien Willens eines jeden Menschen nicht umsetzbar (vgl. Oelkers 2001, 256). Dennoch ist erzieherisches Handeln stets absichtsgeleitetes Handeln (vgl. Brezinka 1990, 72), das die planvolle Gestaltung pädagogischer Situationen bedingt; ob die Adressatinnnen und Adressaten aber tatsächlich das lernen, was von den „Erziehenden“ intendiert ist, kann nicht vorhergesagt werden[3] und bleibt die subjektiv zu leistende Aufgabe der „zu Erziehenden“.

Legitimiert wird dieses skizzierte Verständnis professioneller Erziehung durch nationale und internationale Rechtsgrundlagen sowie Übereinkünfte wie das Grundgesetz, das SGB VIII, die Schulgesetze der Länder, die Handlungsempfehlungen der EK III des Landes Nordrhein-Westfalen, die ERJOSSM, die UN-Kinderrechtskonvention und die UN-Menschenrechtskonvention.

 

I.3 Kurzzeitpädagogisches und bildungsorientiertes Handeln im Jugendarrest

Die kurze Dauer des Jugendarrests von maximal vier Wochen ist als pädagogische Herausforderung sowohl auf konzeptioneller als auch auf personeller Ebene zu sehen, da erzieherische Prozesse grundsätzlich auf längere Zeiträume angelegt sind – bspw. im Rahmen der jahre- bzw. jahrzehntelangen familialen oder schulischen Erziehung.

Dennoch sind unter Beachtung spezifischer kurzzeitpädagogischer Bedingungen positive Effekte – im Sinne des Gesetzesziels – möglich.

Soweit man im Jugendarrest das pädagogische Setting sieht, ist es ein kurzzeitpädagogisches Setting, bei dem zeitökonomische Aspekte berücksichtigt werden müssen, die sich umso mehr zuspitzen, je weniger Zeit zur Verfügung steht. Grundsätzlich gilt, dass Erziehungszeit Lebenszeit ist und somit nicht verschwendet werden darf (Velthaus 2005, 135). Das heißt auch, dass ein Arrestprogramm mit dem Zeitpunkt der Aufnahme beginnen muss und ungestaltete „Leerlaufphasen“ weder zu rechtfertigen noch zu verantworten sind.

Zentral ist des Weiteren die Unterscheidung von „Dringlichem“ und weniger „Dringlichem“, da nicht alle Problemlagen der jungen arrestierten Menschen bearbeitet werden können (Oelkers 2001, 221). Voraussetzung dafür ist wiederum eine intensiv gestaltete Aufnahme-, Diagnose- und Kennenlernphase im Jugendarrest, während derer die zentralen Anliegen und aktuellen Problematiken der jungen Menschen herausgearbeitet werden.

Das bedeutet auch, dass Verständigung darüber herrscht, dass im Jugendarrest keine grundlegenden Persönlichkeitsveränderungen möglich sind, sondern nur die vordringlichsten Probleme bearbeitet werden können, die ggf. positiv in andere Lebensbereiche ausstrahlen (vgl. Budman & Gurman 1988, 13).

Die intensive Nutzung der knappen Zeitressourcen im Jugendarrest impliziert nicht, dass täglich Programmbausteine aneinander gereiht werden müssen. Vielmehr spielt die Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit eine erhebliche Rolle (Bärtschi & Schönbächler 2010, 14). Insbesondere die Güte von Beziehungen und der gemeinsam gemachten Erfahrungen stehen hier im Fokus. Dazu müssen kurzzeitpädagogische Konzepte einen wohldurchdachten Wechsel zwischen aktivierenden Elementen (z.B. das Angebot von Lerneinheiten zu entwicklungsspezifischen und lebensweltorientierten Themen wie „Umgang mit Finanzen“, „Haushaltsführung“, „Bewerbungstraining“, „politische Bildung“ etc.) und reflexiven Momenten (z.B. die gemeinsame Einnahme von Mahlzeiten, gemeinsame Spaziergänge, tägliche Abendrunden zur Reflektion des Tages, Vorleserunden etc.) enthalten, um erfahrene Erlebnisse verarbeiten und in die Persönlichkeit integrieren zu können. Wichtig ist hierfür, dass Raum für Reflexionen und Erzählsituationen gelassen wird, durch die sich Erlebnisse verfestigen und keine bindungslosen Ereignisse bleiben (Becker 1996, 192).

Auf der methodischen Ebene sind klare Ziel- und Erwartungsabsprachen, auch und v.a. gemeinsam mit den jungen Arrestierten, unabdingbar (vgl. Bühler 1986, 74). Im Sinne einer partizipativen Arrestgestaltung und zur Herstellung größtmöglicher „Compliance“ mit den jungen Menschen ist eine gemeinsame Planung der Arrestzeit, mindestens im Rahmen eines Eingangsgesprächs sowie täglicher Reflexionsgespräche, unentbehrlich.

Eine „Nebenwirkung“ kurzzeitpädagogischer Settings besteht in der hohen Wahrscheinlichkeit, dass (positive) Effekte erst später eintreten können und während der Zeit im Jugendarrest möglicherweise noch nicht sichtbar werden (vgl. Budman & Gurman 1988, 11). Dies darf allerdings nicht den jungen Menschen angelastet, sondern muss als Spezifikum des Handlungsfeldes in Kauf genommen werden.

Umso notwendiger ist die Einbettung des Jugendarrests in ein Netzwerk von einschlägigen Institutionen, Vereinen, Initiativen und Personen wie z.B. der Jugendhilfe, Schulen, Ausbildungsbetriebe, Kompetenzagenturen etc., die die jungen Menschen nach der Zeit im Jugendarrest begleiten und ggf. begonnene Förderinterventionen auf freiwilliger Basis fortführen oder dazu beitragen, die Fördererfolge des Jugendarrests nachhaltig zu sichern und in den Alltag der jungen Menschen zu implementieren (vgl. Thiersch 2005, 25f.).

Die Standards professionell pädagogischen Handelns und die zu berücksichtigenden kurzzeitpädagogischen Spezifika müssen sich in einem zielführenden inhaltlichen Programm für den Jugendarrest abbilden.

Ein Selbstverständnis, das sowohl die Entwicklungsbedingungen und Lebenslagen der jungen arrestierten Menschen berücksichtigt als auch dem gesetzlichen Auftrag entspricht, bestünde in einem Jugendarrest als „Ort der Jugendbildung“ bzw. als „Jugendbildungsstätte“ (vgl. Bihs & Walkenhorst 2009).

Dies ergibt sich zum einen aus der Definition der (Jugend-)Bildungsarbeit, die als "der umfassende Prozess der Entwicklung und Entfaltung derjenigen Fähigkeiten, die Menschen in die Lage versetzen, zu lernen, Leistungspotenziale zu entwickeln, zu handeln, Probleme zu lösen und Beziehungen zu gestalten" (BJK, Sachverständigenkommission für den Elften Kinder- und Jugendbericht & AGJ 2002, 317) zu verstehen ist. Darin bilden sich im Wesentlichen das Ziel von Erziehung – Verselbstständigung und Mündigkeit – sowie die Aufgabenstellungen des Jugendarrests – Bewältigung sozialer Probleme und der Beitrag zu einer Lebensführung ohne Straftaten – ab.

Zum anderen ist (Jugend-)Bildung in diesem Sinne nicht nur Aufgabe des klassischen Lernorts, der Schule (vgl. ebd.), sondern muss auf Lernorte erweitert werden, in denen nicht nur formale Bildung stattfindet (vgl. Rauschenbach 2005, 234).

Implizit deutlich wird das Verständnis des Jugendarrests als ein solcher Lernort bereits im – hier schon erwähnten – § 10 der JAVollzO, der in Abs. 2 insbesondere auf soziale Einzelhilfe, Gruppenarbeit und Unterricht abstellt. Die EK III des Landes NRW fordert in Handlungsempfehlung Nr. 25 explizit einen bildungsorientierten Tagesablauf im Jugendarrest, der u.a. Schulunterricht und die Vermittlung von Alltagskompetenzen umfasst.

Die Themenauswahl solcher Förder- und Unterrichtseinheiten muss sich am bereits skizzierten Entwicklungsförderungsauftrag des Jugendarrests orientieren. Das beinhaltet den Einbezug der Entwicklungsanforderungen des Jugend- und Heranwachsendenalters (u.a. Neuordnung der sozialen Strukturen wie Peergroup, Familie, Partnerschaft etc., schulische und berufliche Bildung, Umgang mit Partnerschaft und Sexualität, Bewältigung der körperlichen Veränderungen[4] sowie die Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Lebenslagen der Arrestklientel.

Vor diesem Hintergrund bieten sich u.a. folgende Themenstellungen für ein zu konzeptualisierendes Arrestcurriculum an:

-          Unterstützung und Beratung bei der Formulierung realistischer schulischer bzw. beruflicher Ziele/Thematisierung und Verarbeitung eigener Schulerfahrungen,

-          Auseinandersetzung mit der eigenen Straftat sowie mit der Jugendstrafrechtspflege (z.B. anhand des Manuals "Jugendkriminalität - wir diskutieren" vom MFKJKS NRW),

-          soziales Lernen anhand der Lernfelder "Peergroups", Freundschaft, Gruppen(regeln),

-          Hinführung zu einer angemessenen Ernährungsweise,

-          Bedeutung von Demokratie, Werten und Normen.

 

I.4 Personelle und materiell-bauliche Anforderungen

Für die Ausgestaltung eines konsequent erzieherischen und jugendbildungsorientierten Jugendarrests wird hoch qualifiziertes Personal benötigt. Das hier skizzierte Verständnis von Jugendarrest als Ort der Jugendbildung kann nur dann in die Praxis transportiert werden, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereit sind, intensive Beziehungsarbeit mit den ihnen anvertrauten jungen Menschen zu leisten. Dazu müssen sie die Standards professionell-pädagogischen Handelns kennen und umsetzen können (vgl. hierzu z.B. Koring 1992, 68f.; Giesecke 1996, 122; Fend, 2005, 466f.). Ebenso müssen sie das Verhalten junger Menschen (auch Fehlverhalten) auf der Grundlage fachlichen Wissens interpretieren sowie angemessen damit umgehen können.

Die Personalaus- und Fortbildung für den Jugendarrest muss daher u.a. die Vermittlung von

-          kriminologischen und erziehungswissenschaftlich fundierten Kenntnissen,

-          Kenntnissen über die Entwicklungsspezifika des Jugend- und Heranwachsendenalters,

-          Kenntnissen über die Anlässe, Inhalte und Methoden der Jugendbildungsarbeit sowie von

-          Kenntnissen über spezifische kurzzeitpädagogische Methoden umfassen.

Eine professionelle Haltung, die von der positiven Entwicklungsfähigkeit junger Menschen ausgeht und das Ermöglichen von Lernen zur Leitlinie allen pädagogischen Handelns erhebt, ist grundlegend für die Erfüllung dieser Standards (vgl. Fend 2005, 470) und muss auch auf der Führungsebene kommuniziert und transportiert werden.

Daneben müssen die materiell-baulichen Gegebenheiten den Entwicklungsförderungsauftrag des Jugendarrests verdeutlichen und ermöglichen. Zentral ist dafür die Abschaffung der weit verbreiteten Praxis (kritisch dazu Eisenhardt 2010, 14), Jugendarrestanstalten baulich an Einrichtungen des Strafvollzuges anzugliedern, was gemäß § 1 Abs. 2 JAVollzO ohnehin ein rechtswidriger Zustand ist.

Zudem müssen die Arrestanstalten über ausreichende Räumlichkeiten verfügen, um Förder- und Unterrichtseinheiten mit einer angemessenen Anzahl junger arrestierter Menschen anbieten zu können. Von einer angemessenen Gruppengröße ist bei einer Anzahl von 8-12 Teilnehmenden auszugehen (vgl. Nagl 2000, 143 sowie Büttner 1995, 37).

Um mit mehreren Gruppen parallel arbeiten zu können, muss je Gruppe ein Gruppenraum – je nach Anstaltsgröße also mehrere Gruppenräume – vorgehalten werden. Diese Räume müssen so ausgestattet sein, dass dort Lerneinheiten stattfinden können (dies umfasst u.a. Tische und Stühle, Tafel, Beamer, Moderationskoffer, Lesematerialien, TV-Gerät).

Zur gemeinsamen Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten sind eine Gemeinschaftsküche sowie ein großer Speiseraum vorzuhalten. Für Sport- und Freizeitveranstaltungen benötigen die Arrestanstalten mindestens einen Freizeitraum mit entsprechender Ausstattung u.a. für Film- und Spieleabende sowie eine Sporthalle und ein Außengelände, auf dem sportliche Gruppenaktivitäten möglich sind. Zudem sollte jede Arrestanstalt über eine eigene Bücherei mit ausgewählter Jugendliteratur verfügen. Auch entsprechende Räumlichkeiten für die Aufnahme-, Diagnose- und Entlassungsgespräche müssten vorgehalten werden.

Insgesamt ist zu überdenken, ob der den Arrestanstalten teilweise innewohnende „Gefängnischarakter“ (vgl. Thalmann 2011, 80) der helfenden und entwicklungsfördernden Arbeit des Jugendarrests zuwider läuft. Hier sollte durch eine wohnliche Gestaltung der Räumlichkeiten – durchaus auch in Zusammenarbeit mit den jungen arrestierten Menschen – gegengesteuert werden[5].

I.5 Eckpunkte für ein Jugendarrestvollzugsgesetz

 

Die Verabschiedung von Jugendarrestvollzugsgesetzen der Länder ist angesichts der bisherigen mangelhaften rechtlichen Regelung des Jugendarrests sehr zu begrüßen. Hiermit ist auch die große Chance verbunden, eines der umstrittensten Instrumente der Jugendstrafrechtspflege (vgl. BT_Drs. 11/5829, 18) konsequent als Einrichtung der Entwicklungsförderung junger Menschen zu gestalten, die eine positive Teilhabe ihrer jungen Zielgruppe zu ermöglichen und nicht zu verhindern versucht.

Für einen solchen Jugendarrestvollzug sind einige zentrale Eckpunkte in den Blick zu nehmen, die zwingend Eingang in ein zu verabschiedendes Jugendarrestvollzugsgesetz finden müssen.

Dazu ist es an erster Stelle unabdingbar, Anlehnungen an den Jugendstrafvollzug zu vermeiden, um den eigenständigen und weniger repressiven Charakter des Jugendarrests zu verdeutlichen. Andererseits darf ein Jugendarrestvollzugsgesetz nicht hinter den Regelungen der Jugendstrafvollzugsgesetze zurück bleiben, so dass mindestens ein Erziehungsauftrag gemäß § 3 JStVollzG SH sowie Leitlinien der Förderung gemäß § 4 JStVollzG SH zu formulieren sind. 

Unbedingt zu regeln ist die jugendpädagogische Eignung und Qualifikation sowie regelmäßige Fortbildung des Personals, das im Jugendarrest eingesetzt werden soll (siehe Handlungsempfehlung Nr. 31 der EK III). Um ein pädagogisches Konzept entwickeln und fortschreiben sowie pädagogische Prozesse anstoßen, beobachten und reflektieren zu können, sollte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, pädagogischen Fachkräften die Vollzugsleitung zu übertragen. Mindestens aber sollte eine pädagogische Fachkraft, die nicht in die Alltagsverpflichtungen eingebunden, aber ständig vor Ort ist, mit der pädagogischen Leitung im Jugendarrest betraut werden (siehe dazu auch Planungsgruppe PETRA 1991, 495).

Schwangere junge Frauen und junge Mütter, die einen Säugling zu versorgen haben, sollten nicht arrestiert werden. Unbedingt sollte geregelt werden, dass für junge Frauen und Mütter Konzepte erarbeitet und durchgeführt werden, die ihre besonderen Lebensituationen sowie mögliche Gewalt- und Missbrauchserfahrungen berücksichtigen (siehe Handlungsempfehlung Nr. 25 der EK III).

Die enge Kooperation und der fachliche Austausch mit einschlägigen Institutionen der Erziehungshilfe sowie der Jugendbildung wie die öffentliche und freie Jugendhilfe, (Förder-)Schulen, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Jugendbildungsstätten etc. ist zu regeln (siehe Handlungsempfehlungen Nr. 11 und 12 der EK III).

Die Möglichkeit des Jugendarrests in freien Formen sollte unbedingt Eingang in ein zu verabschiedendes Jugendarrestvollzugsgesetz finden. Hieraus ergibt sich die Chance, junge Menschen, die für den Jugendarrest in freien Formen besonders geeignet sind, unter Bedingungen bestmöglicher Förderung unterzubringen sowie gemeinsam mit der Jugendhilfe kurzzeitpädagogische Konzepte zu entwickeln und in die eigene Praxis rückzuspeisen.

Die erziehungswissenschaftliche und kriminologische Begleitforschung und Evaluation ist ebenso in einem Jugendarrestvollzugsgesetz zu regeln. Auch die Zusammenarbeit mit Universitäten und Fachhochschulen zur gemeinsamen Konzeptentwicklung und Projektdurchführung durch Studierende vor Ort sollte bestimmt werden.

 

II. Anmerkungen zu einzelnen Vorschriften des Entwurfs

Der vorliegende Gesetzesentwurf ist im Sinne einer entwicklungsförderlichen und jugendgerechten Arrestgestaltung als gelungen zu bewerten. Auf Analogien zum Jugendstrafvollzug wurde weitgehend verzichtet, so dass die inhaltliche und funktionale Eigenständigkeit des Instruments des Jugendarrests deutlich wird.

Es handelt sich insgesamt um einen an vielen zentralen Stellen auf die Teilhabe, Verantwortungsübernahme und den Einbezug der jungen arrestierten Menschen abzielenden Gesetzestext, der sich deutlich und positiv von der bisherigen rechtlichen Grundlage des Jugendarrests – der JAVollzO – abhebt.

Repressive Gestaltungselemente, wie sie z.B. in § 43 des Entwurfs zu finden sind, stehen dazu aber im Widerspruch und müssten im Sinne einer konsistent dem Entwicklungsauftrag dienenden Rechtsgrundlage entsprechend abgeändert werden.

 

Ziel des Jugendarrests (§ 2)

Diese Regelung ist insgesamt sehr zu begrüßen. Gelungen ist insbesondere die Formulierung, dass der Jugendarrest einen Beitrag zur Führung eines eigenverantwortlichen Lebens ohne weitere Straftaten leisten soll. Dies verdeutlicht die begrenzte Reichweite des Jugendarrests, von dem nicht erwartet werden kann, innerhalb von maximal vier Wochen jahrzehntelange Sozialisationsprozesse grundlegend positiv zu verändern – was allerdings in Einzelfällen nicht prinzipiell ausgeschlossen werden kann. Zudem beugt diese Bestimmung Schuldzuweisungen gegenüber den betroffenen jungen Menschen vor, falls sie, was nicht unwahrscheinlich ist,  nach dem Arrest noch nicht in der Lage sind, ein Leben ohne Straftaten zu führen.

Der Begriff der Befähigung scheint ebenfalls gut gewählt, weil er die unterstützende Ausrichtung des Jugendarrests, der auf positive Verhaltensänderung abzielt, unterstreicht.

Die Bestimmung, die Angebote im Jugendarrest insbesondere auch auf weitere Hilfs- und Betreuungsangebote für die Zeit nach der Entlassung auszurichten, markiert ein Alleinstellungsmerkmal des schleswig-holsteinischen Entwurfs gegenüber anderen vorliegenden Gesetzesentwürfen zur Regelung des Jugendarrests. Dies verpflichtet die Mitarbeiterschaft zum einen zu einer engen Zusammenarbeit mit einschlägigen Fördereinrichtungen, zum anderen erhält hier die Sicherung von Nachhaltigkeit der positiven Förderergebnisse während des Arrestvollzuges einen hohen Stellenwert. Die Empfehlungen der EK III (Handlungsempfehlungen Nr. 11 und 12) werden in dieser Hinsicht erfüllt.

Vor diesem Hintergrund ist der Änderungsantrag der CDU-Fraktion als Rückschritt zu bewerten, weil hier die Betonung der Nachsorge fehlt und die in Satz 1 intendierte Unrechtsverdeutlichung keine zukunftsorientierten Perspektiven für positive Verhaltensänderungen eröffnet werden.

 

Grundsätze der Arrestgestaltung (§ 3)

Diese Bestimmung ist ebenfalls positiv zu bewerten. Die Beteiligung von Fachkräften der Jugendhilfe erscheint sinnvoll, da diese über eine ausgewiesene Expertise im Umgang mit jungen Menschen in schwierigen Lebenslagen verfügen. Das Hinzuziehen erziehungswissenschaftlicher Beratung verdeutlicht den Anspruch, ein Förderprogramm im Jugendarrest an professionell-pädagogischen und wissenschaftlich fundierten Standards auszurichten. Die Regelung, das pädagogische Gesamtkonzept fortzuschreiben, ist zu unterstützen, da sie die Möglichkeit eröffnet, jeweils aktuelle wissenschaftliche und empirische Erkenntnisse sowie Erfahrungen in der Arbeit mit schwierigen jungen Menschen einzuspeisen und ein Arrestkonzept entsprechend zu modifizieren.  Die Bestimmung verdeutlicht implizit auch die Notwendigkeit einer pädagogischen Fachkraft auf Leitungsebene, die aufgrund ihrer Befreiung vom Alltagsgeschäft die pädagogischen Prozesse vor Ort beobachten und Veränderungsbedarfe dokumentieren sowie kommunizieren kann.

Die in Absatz 2 der Vorschrift formulierte Berücksichtigung der Privatsphäre der jungen Menschen ist insbesondere in entwicklungspsychologischer Hinsicht zu begrüßen, da die Erlangung, Wahrung und Gestaltung privater Räume eine wichtige Entwicklungsaufgabe im Jugend- und Heranwachsendenalter darstellt und die unbegründete Verletzung der Privatsphäre durch Dritte wegen der besonderen Sensibilität junger Menschen in dieser Phase schädlich für den Beziehungsaufbau sein kann (Flammer & Alsaker 2002, 96).

In Absatz 3 wird ebenfalls die entwicklungspsychologische Orientierung des Gesetzentwurfs deutlich, da insbesondere auch der individuelle Entwicklungsstand der jungen Menschen bei der Arrestgestaltung zu berücksichtigen ist. Notwendig sind hierfür allerdings eine eingangs durchzuführende (Entwicklungs-)Diagnostik sowie differenzierende und klientelgerechte Förderangebote, um diese Vorgabe in die Praxis umsetzen zu können. 

 

Grundsätze der Förderung (§ 4)

Auch die Grundsätze der Förderung können grundsätzlich als gelungen bewertet werden. Die Förderung der Selbstachtung der jungen Menschen, wie sie in Abs. 1 bestimmt wird, erscheint zielführend, da hiermit sekundärer Devianz, also abweichendem Verhalten aufgrund der Internalisierung zugeschriebener Rollen (vgl. Lamnek 2007, 223), entgegen gewirkt wird. Da die jungen arrestierten Menschen mindestens durch die Verurteilung zum Jugendarrest offiziell als „abweichend“ oder „straffällig“ etikettiert wurden, besteht die Gefahr, dass sie diese ihnen zugewiesene Rolle in ihr Selbstbild übernehmen und sich auch zukünftig entsprechend (abweichend) verhalten. Die Förderung der Selbstachtung enthält für die jungen Menschen die Chance, sich selbst nicht nur als „abweichend“ zu sehen und erleben, sondern positive Verhaltensanteile zu erkunden und auszuleben.

In Abs. 2 wird eine ressourcenorientierte Ausrichtung des schleswig-holsteinischen Gesetzesentwurfs deutlich, da hier ausdrücklich von der Ergründung und Förderung der Fähigkeiten und Begabungen der jungen Klientel die Rede ist. Diese Regelung ist zu begrüßen, da sie die Konzentration auf mögliche positive Verhaltensveränderungen verdeutlicht und nicht nur vergangenes Fehlverhalten in den Blick nimmt.

Die Bestimmung in Abs. 4, die jungen arrestierten Menschen in der Bewältigung ihrer persönlichen und sozialen Schwierigkeiten zu unterstützen, verdeutlicht die helfende Ausrichtung des Jugendarrests und ist zu begrüßen, da ohne eine positive Veränderung der Lebensverhältnisse der jungen Zielgruppe auch keine grundlegenden Verhaltensveränderungen erwartet werden können.

Durch die Bestimmungen in Abs. 5 und 6 trägt der vorliegende Entwurf der begrenzten Reichweite des Jugendarrests Rechnung, da hier auf die Anknüpfung an bestehende Fördermaßnahmen außerhalb des Arrestes sowie die Ermittlung des weiteren Förderbedarfs der arrestierten jungen Menschen abgestellt wird. Dies ist als zielführend zu bewerten, da – wie oben ausgeführt – der Aufenthalt im Jugendarrest angesichts der knappen Zeitressourcen Lebenslagen nicht grundlegend positiv zu ändern vermag, möglicherweise aber durch eine verstärkte Diagnosefunktion Ressourcen und Bedarfe der jungen Menschen erkunden und  nachgehende Förderangebote anstoßen kann. Auf einer solchen rechtlichen Grundlage können die Handlungsempfehlungen Nr. 11 und 12 der EK III umgesetzt werden.

Der Änderungsantrag der CDU-Fraktion bezüglich Abs. 3 erscheint hier wenig zielführend, da – analog zum JStVollzG Schleswig-Holstein – von „Maßnahmen und Programmen“ die Rede ist, die angesichts der knappen Verweildauern nicht umsetzbar erscheinen. Zudem stellt der Änderungsantrag ausschließlich auf das begangene Unrecht der jungen Menschen ab und setzt vermehrt auf negative Spezialprävention. Aspekte der Förderangebote, die für eine sozial verantwortliche Lebensführung in Freiheit unabdingbar sind, werden in Absetzung zum vorliegenden Entwurf nicht genannt.

 

Förderangebote; Mitwirkung und Stellung der Jugendlichen (§§ 5, 6)

Bezüglich § 5 wäre der Gesetzestext an einigen Stellen zu präzisieren. So enthält die Bestimmung keinerlei Aufschluss über die inhaltliche Ausrichtung der jeweiligen Förderangebote.

In Anbetracht der hier dargestellten Bildungs- und Entwicklungsorientierung des Jugendarrests sollten die Angebote ergänzt werden durch einen weiteren Punkt „Bildungs- und Unterrichtsveranstaltungen zu zielführenden und jugendgemäßen Themen“. 

Bei Nr. 7 sollte „sinnvolle“ ergänzt werden, um zu verdeutlichen, dass auch die Freizeit entlang des Förder- und Entwicklungsauftrages gestaltet wird.

Gelungen ist hingegen die Formulierung des Titels („Förderangebote“), weil damit ein Erziehungsverständnis deutlich wird, das die „zu Erziehenden“ als Subjekte versteht, die Lernangebote annehmen oder verweigern können. Das bedeutet nicht, dass den jungen arrestierten Menschen grundsätzlich gestattet wird, an Angeboten nicht teilzunehmen. Vielmehr weist der Angebotsbegriff – im Sinne der oben angesprochenen Überlegungen zu einem Erziehungsbegriff – auf die Unplanbarkeit pädagogischer Erfolge sowie die Verpflichtung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Gestaltung möglichst motivierender und lernförderlicher Angebote hin.

In § 6 Abs. 1 wird diese Verpflichtung zur lernförderlichen Gestaltung der Angebote explizit deutlich. Sehr gelungen ist hier Abs. 3, der als partizipatives Gestaltungselement die Erläuterung der Maßnahmen im Arrest gegenüber den jungen Menschen vorsieht. Das Risiko der Fremdbestimmung, welches freiheitsentziehende Settings immer bergen (vgl. Permien 2010, 90), wird somit abgemildert, was wiederum positive Effekte auf die Lernbereitschaft der jungen Menschen haben kann.

Die von der CDU-Fraktion intendierte Änderung des § 6 Abs. 1 erscheint vor diesem Hintergrund wenig innovativ und läuft der pädagogischen Logik des vorliegenden Gesetzesentwurfs zuwider.

Zu begrüßen ist aber der Vorschlag zur Änderung des § 6 Abs. 2, weil er beschränkende Maßnahmen eingrenzt und somit die jungen arrestierten Menschen vor unrechtmäßigen Eingriffen in ihre Freiheit geschützt und in ihrer Selbstverantwortlichkeit für ein sozial angemessenes Verhalten herausgefordert werden. 

 

Aufnahme (§ 11)

Die Bestimmungen zur Gestaltung der Aufnahme in den Jugendarrest sind insgesamt zu begrüßen. Unter der notwendigen Beachtung zeitökonomischer Aspekte (siehe oben) sind das vorgesehene Zugangsgespräch sowie die ärztliche Untersuchung allerdings binnen 24 Stunden durchzuführen, damit keine „Leerzeiten“ entstehen und direkt im Anschluss der Aufnahmephase mit dem inhaltlichen Arrestprogramm begonnen werden kann.

Entsprechend müssten in Abs. 1 die Formulierung „unverzüglich“ sowie „alsbald“ in Abs. 4 durch „binnen 24 Stunden“ ersetzt werden.

 

Einbezug Dritter (§§ 7, 8)

Der vorliegende Gesetzesentwurf ist bezüglich der betreffenden Regelungen als gelungen zu bewerten und entspricht auch hier den Handlungsempfehlungen Nr. 11 und 12 der EK III.

Positiv hervorzuheben ist § 7 Abs. 1, der verdeutlicht, dass nicht nur das pädagogische Fachpersonal (Angehörige des Sozialdienstes, des pädagogischen sowie des psychologischen Dienstes) für die entwicklungsförderliche Ausgestaltung des Jugendarrests verantwortlich ist, sondern auch der Allgemeine Vollzugsdienst, der in der Regel den gesamten Alltag vor Ort betreut, eine zentrale Rolle dabei einnimmt.

Dass zu den Personensorgeberechtigten proaktiv Kontakt aufgenommen und ggf. persönliche Gespräche mit ihnen geführt werden sollen, stellt gegenüber den Entwürfen bzw. Gesetzen zum Jugendarrest aus anderen Bundesländern ein Alleinstellungsmerkmal dar. Diese Bestimmung leistet einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der sozialen Schwierigkeiten, deren Ursachen nicht selten im (defizitären) Familiengefüge der jungen Menschen liegen. Zudem kann der Einbezug der Personensorgeberechtigten den Transfer des im Jugendarrest Gelernten erleichtern, da ein Großteil der jungen arrestierten Menschen bei den Personensorgeberechtigten lebt. Gerade bei sehr kurzzeitigen Programmen – wie der Jugendarrest eines ist– ist eine Einbettung der Interventionen in die Lebenswelt der Adressatinnen und Adressaten für nachhaltige Erfolge wesentlich (vgl. Thiersch 2005, 25f.; Budmann & Gurmann 1988, 11).

 

Kontakte, Anlaufstellen (§ 13)

Der Änderungsantrag der CDU-Fraktion bezüglich § 13 Abs. 2 S. 2 ist zu begrüßen, da die Aufrechterhaltung des Kontakts zu nachsorgenden Stellen entscheidend ist für eine fortgesetzte Förderung nach der Arrestverbüßung.

 

Aufenthalt außerhalb der Anstalt (§ 14)

Dass den jungen Menschen während des Arrestes der Schulbesuch bzw. die Fortsetzung der Ausbildungs-/Arbeitstätigkeit ermöglicht werden kann (§ 14 Abs. 1), ist in pädagogischer Hinsicht positiv zu bewerten. Schul-, Ausbildungs- oder Arbeitsabbrüche, die die weitere Entwicklung erheblich negativ beeinflussen würden, können so vermieden werden.

Als Kann-Bestimmung besteht allerdings die Gefahr, dass diese Vorschrift nicht immer umgesetzt wird. Zwar sind die Einzugsgebiete von Arrestanstalten mitunter so groß, dass tägliche Schulbesuche etc. nicht praktikabel sind, allerdings sollte in solchen Fällen, in denen junge Menschen in derartige Verpflichtungen eingebunden sind und diese tatsächlich regelmäßig wahrnehmen, die Arrestvollstreckung insgesamt überdacht und ggf. von ihr abgesehen werden.

Ergänzt werden sollte hier die Möglichkeit, an dem Arrestziel förderlichen Veranstaltungen oder Angeboten außerhalb der Anstalt teilzunehmen.

Die hier intendierten Änderungen der CDU-Fraktion sind abzulehnen, weil der Aufenthalt außerhalb der Anstalt als Vergünstigung, die eine begrüßenswerte Erweiterung der bestärkenden Erziehungsmittel darstellt, wegfallen würde.

 

Entlassung (§ 15)

Als positiv hervorzuheben ist Abs. 1 Nr. 5, der vorsieht, im Schlussbericht den weiteren Förderungs- und Betreuungsbedarf zu vermerken. Der Gesetzesentwurf macht hiermit ein weiteres Mal deutlich, dass er auf eine mit nachsorgenden Stellen verzahnte Arrestgestaltung  abstellt.

 

Persönlicher Gewahrsam, Kleidung (§ 21)

Dem Vorschlag des CDU-Änderungsantrags ist zuzustimmen, weil er verdeutlicht, dass lediglich gefährdende Gegenstände wie Drogen, Alkohol etc. nicht in die Arrestanstalt eingebracht werden dürfen. 

 

Verpflegung und Gesundheitsfürsorge (§§ 23, 24, 26)

Die Regelungen zur Verpflegung in § 23 sind noch nicht konsequent an der jungen Klientel des Jugendarrests ausgerichtet. So wäre in Abs. 1 zu ergänzen, dass die Anstaltsverpflegung auch jugendgemäßen Anforderungen entspricht. Die körperliche Entwicklung ist insbesondere bei Jungen und jungen Männern im Alter zwischen 14-15 Jahren mit einem enormen Wachstumsschub verbunden (vgl. Tücke 2001, 271). Diesem muss mit einer darauf abgestimmten Ernährung Rechnung getragen werden.

Die Soll-Bestimmung in § 23 Abs. 1, den jungen arrestierten Menschen die Befolgung von Speisevorschriften ihrer Religionsgemeinschaft zu ermöglichen, ist in eine Muss-Vorschrift abzuändern. Dies ergibt sich zwingend aus Art. 4 GG und dürfte vor dem Hintergrund des relativ hohen muslimischen Anteils junger Menschen im Jugendarrest in der Praxis häufig Anwendung finden[6].

Die Ausrichtung der Angebote der Gesundheitsfürsorge an den Lebenswelten junger Menschen in § 24 Abs. 2 ist ausdrücklich zu begrüßen.

Nicht nachvollziehbar ist die Möglichkeit der Fesselung der jungen Menschen im Rahmen von Ausführungen zu ärztlichen Untersuchungen in § 26 Abs. 2. Die von Entweichungen ausgehenden möglichen Gefahren sind im Jugendarrest als relativ gering einzuschätzen, da die jungen Menschen nur eine sehr kurze Zeit dort verbringen und nach maximal vier Wochen Verweildauer ohnehin frei sind. Die Bestimmung zu einer möglichen Fesselung ist deshalb ersatzlos zu streichen.

Der Änderungsantrag der CDU-Fraktion zu § 23 Abs. 2 ist hier als zielführend zu bewerten, da hiermit auch denjenigen jungen Menschen, die nur eine sehr kurze Zeit im Arrest verbleiben, der Einkauf ermöglicht wird.

Nicht nachvollziehbar ist die von der CDU-Fraktion intendierte Herabsetzung des Aufenthalts im Freien von zwei Stunden auf eine Stunde (§ 24 Abs. 3). Es scheint, als sollten hier Konzessionen für einen geringeren personellen Aufwand gemacht werden, was hinsichtlich des (Entwicklungs-)Förderungsauftrag des Jugendarrests nicht zu rechtfertigen ist.

 

Außenkontakte (§§ 27, 30)

Das Gestatten von Besuchsempfang von mindestens einer Stunde wöchentlich (§ 27 Abs. 1) stellt ein Novum gegenüber der bisher geltenden JAVollzO dar und ist v.a. hinsichtlich der nun möglichen Kontaktpflege von jungen Arrestierten zu ihren eigenen Kindern zu unterstützen.

§ 30 Abs. 1 S. 1 sollte durch „unbegrenzt“ ergänzt werden, da der Schriftwechsel dem Aufbau und der Pflege entwicklungsförderlicher Kontakte dient und die kommunikativen Fähigkeiten der jungen Menschen fördert (Walkenhorst et al. 2012, 426). Eine Begrenzung des Schriftwechsels ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar.

 

Freizeit (§ 33)

Hier ist unklar, warum den jungen Menschen insbesondere handwerkliche und kreative Betätigungen ermöglicht werden sollen (Abs. 1). Die Freizeitgestaltung sollte sich an den Lebenswelten der jungen Klientel sowie den Möglichkeiten der Fortsetzung der Aktivitäten  in Freiheit und nicht an den Gegebenheiten im Jugendarrest orientieren.

Die Soll-Bestimmung in Abs. 2 ist durch eine Muss-Bestimmung zu ersetzen, da das Lesen als sinnvolle und legale sowie die kognitive Entwicklung fördernde Freizeitbeschäftigung unbedingt zu unterstützen ist. 

Dem Änderungsantrag der CDU-Fraktion ist analog zu den eigenen Ausführungen zu zuzustimmen.

 

Seelsorge (§ 35)

Die Formulierung in Abs. 1 S. 1 des vorliegenden Gesetzesentwurfs ist auf der Grundlage von Art. 4 GG (s.o.) zutreffend, weshalb der Änderungsantrag der CDU-Fraktion diesen Punkt betreffend abzulehnen ist.

 

Verhalten und Verhaltensregulierung im Jugendarrest (§§ 36, 37, 38)

Obwohl sich hier insgesamt eine partizipative und entwicklungsbezogene Orientierung des vorliegenden Entwurfs abzeichnet, gibt es Veränderungsbedarf bei einzelnen Regelungen.

So weisen die Formulierungen in § 36 Abs. 1 und 2  auf eine hohe Fremdbestimmung der jungen arrestierten Menschen hin. Dass ihr Verantwortungsbewusstsein für ein sozialverträgliches Miteinander durch das bloße Befolgen von hier recht starr wirkenden Regelungen gefördert werden kann, ist aus pädagogischer Sicht wenig einleuchtend. Sicherlich muss in einer Arrestanstalt Sicherheit und Ordnung hergestellt und aufrecht erhalten werden, dennoch ergibt sich für die jungen Menschen durch vorgegebene Reglementierungen kein Spielraum für das eigene Erlernen angemessener Verhaltensweisen. § 37 trägt dem schon eher Rechnung, weil in Abs. 1 darauf abgestellt wird, den jungen Menschen den Sinn und Zweck der geltenden Regeln zu erläutern und gemäß Abs. 2 als partizipatives Element gemeinsam mit den jungen Menschen Regeln erarbeitet werden können.

Allerdings bleibt fraglich, ob die reine Vorgabe von Tagesabläufen und Wochenplänen (§ 37 Abs. 1) den Zweck erfüllen kann, die jungen Menschen auf eine eigenverantwortliche und sozial angemessene Tagesgestaltung in Freiheit vorzubereiten. Vielmehr sollte es Aushandlungsspielräume mit den jungen arrestierten Menschen geben, durch die sie exemplarisch und modellhaft lernen können, eigene Anliegen angemessen vorzubringen und durchzusetzen, die es ihnen aber auch ermöglichen, in sozial verträglicher Weise mit Ablehnung umzugehen, wenn der eigene Vorschlag nicht überzeugend oder mehrheitsfähig ist.

Zu begrüßen sind die Bestimmungen zur Konfliktregelung in § 38, die in Abs. 3 von einer großen Bandbreite an gegenwirkenden Erziehungsmitteln zeugen. Ein Alleinstellungsmerkmal des vorliegenden Entwurfs ist das Verfassens eines Aufsatzes als Möglichkeit der Konfliktregelung (§ 38 Abs. 3 Nr. 5). Hier wird deutlich, dass die gegenwirkenden Maßnahmen nicht auf die reine Disziplinierung gerichtet sind, sondern der Reflexion des Fehlverhaltens dienen und somit Perspektiven für positive Verhaltensänderungen eröffnen.

Die Dauer der beschränkenden Maßnahmen sollte allerdings auf ein Maximum von 24 Stunden herabgesetzt werden, da gemäß § 38 Abs. 3 ansonsten u.a. die Möglichkeit bestünde, die jungen Menschen bis zu einer Woche von Freizeit- und Gruppenveranstaltungen auszuschließen. Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von ca. zwei Wochen kann das Arrestziel in solchen Fällen nicht mehr umgesetzt werden.

 

Besondere Sicherungsmaßnahmen (§ 41)

Zum Umgang mit bestehender Fluchtgefahr wurde oben bereits Stellung genommen; besondere Sicherungsmaßnahmen erscheinen hier doch unverhältnismäßig.

Bei Suizidgefahr oder Tendenzen der Selbstverletzung sollte zwingend das Hinzuziehen psychiatrischer Fachkräfte vorgeschrieben und die Arresteignung geprüft werden, da der Jugendarrest nicht für die Behandlung psychiatrischer Auffälligkeiten bzw. Erkrankungen ausgestattet ist.

Die gewünschte Ergänzung der CDU-Fraktion bezüglich § 41 Abs. 1 S. 1 ist abzulehnen, da sie den vorliegenden Gesetzestext aufweichen und die Möglichkeit eröffnen würde, besondere Sicherungsmaßnahmen auch in weiteren Fällen, die im Entwurf nicht aufgeführt sind, anzuordnen.

 

Unmittelbarer Zwang (§ 43)

Der hier gestattete Einsatz von Hiebwaffen (Abs. 4) erscheint für die Erfordernisse im Jugendarrest als unverhältnismäßig. Auf Anlehnungen an den Regelungen zum Jugendstrafvollzug ist hier zu verzichten und der Gebrauch von Waffen analog zu § 22 Abs. 5 JAVollzG NRW zu untersagen.

 

Evaluation, Kriminologische Forschung (§ 59)

Der Titel dieser Bestimmung sollte durch „erziehungswissenschaftliche“ ergänzt werden, da nicht nur kriminologische Erkenntnisse, sondern insbesondere die erziehungswissenschaftliche Forschung zur pädagogischen Weiterentwicklung des Jugendarrests beiträgt.

 

Materiell-räumliche Ausstattung (§§ 20, 60, 61)

Die Regelungen zur räumlichen Ausstattung der Arrestanstalten sowie der Arresträume sind zu begrüßen. Die wohnliche Einrichtung der Arresträume (§ 20) sowie die jugendgerechte Ausstattung der Gemeinschaftsräume (§ 61 Abs. 3) tragen der entwicklungsförderlichen Ausrichtung des Jugendarrests Rechnung und sind zu unterstützen.

Ebenso positiv ist das Trennungsgebot gemäß § 61 Abs. 1 und 2 zu bewerten.

Die Eröffnung der Möglichkeit, Jugendarrest in freien Formen durchzuführen (§ 61 Abs. 4) ist unbedingt zu unterstützen, wie unter I.5 bereits erläutert wurde.

Die Ausrichtung der personellen und materiellen Ressourcen am Arrestziel (§ 60) erscheint sehr sinnvoll, kann allerdings nicht kostenneutral erfolgen, wie die Erläuterungen zum vorliegenden Gesetzesentwurf unter D. („Kosten und Verwaltungsaufwand“) bereits nahelegen.

Aus den unter I.5 genannten Gründen ist die im Änderungsantrag der CDU-Fraktion intendierte Streichung des § 61 Abs. 4 abzulehnen.

 

Personal (§§ 63, 64)

Unter Berücksichtigung der oben bereits angestellten Überlegungen zur Leitung des Jugendarrests, wäre § 63 Abs. 2 durch „pädagogische Fachkräfte“ zu ergänzen. Wenigstens aber sollte die Installation einer vom Alltagsgeschäft entbundenen pädagogischen Leitung festgeschrieben werden.

§ 64 S. 1 sollte analog zu den Erläuterungen unter I.4 durch „kurzzeitpädagogische Gestaltung des Arrestes geeignet und jugendpädagogisch qualifiziert sein“ ergänzt werden.

Es bleibt auch nach der detaillierten Betrachtung der einzelnen Vorschriften der Eindruck bestehen, dass der vorliegende Gesetzesentwurf weitestgehend gelungen und pädagogisch überzeugend ist. Getrübt wird dieser Eindruck durch nur wenige verbesserungswürdige Passagen.

Die sichtbare Orientierung des Entwurfs an den Entwicklungsbedingungen junger Menschen sowie die Konzentration auf zukünftige positive Verhaltensänderungen durch ein entsprechendes Arrestprogramm stimmen insgesamt aber eher optimistisch für die Umsetzung eines pädagogisch hochwertigen Jugendarrests in Schleswig-Holstein. 

Mit freundlichem Gruß
für den DBH-Fachverband
Peter Reckling
(Bundesgeschäftsführer)

 


[1]Die ausführlichen Quellenangaben zu der hier zitierten Literatur können bei der Verfasserin abgerufen werden.
[2]Eine Ausnahme bildet hier Nordrhein-Westfalen, wo im Mai 2013 ein Jugendarrestvollzugsgesetz verabschiedet wurde.
[3]Zum Versuchscharakter von Erziehung siehe auch Oelkers 2001, 256.
[4]Zur Übersicht über die Entwicklungsaufgaben im Jugendalter vgl. z.B Fend (2005).
[5]Zur räumlichen Gestaltung von Jugendeinrichtungen im Bereich der Erziehungshilfe siehe FLOSDORF 1988 („Theorie und Praxis stationärer Erziehungshilfe“).
[6]Ähnlich argumentieren auch Walter und Kirchner (2012, 213f.) in Bezug auf die analogen Regelungen der Jugendstrafvollzugsgesetze.

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