Stellungnahme zum Gesetz über den Vollzug des Jugendarrestes (Saarländisches Jugendarrestvollzugsgesetz – SJAVollzG) Drucksache 15/1497

Datum: 
2015-11-12 00:00:00

I. Grundsätzliches

Die Verabschiedung von Jugendarrestvollzugsgesetzen der Länder ist angesichts der bisherigen als mangelhaft zu beurteilenden rechtlichen Regelung des Jugendarrests sehr zu begrüßen. Hiermit ist auch die große Chance verbunden, eines der umstrittensten Instrumente der Jugendstrafrechtspflege (vgl. BT_Drs. 11/5829, 18[1]) konsequent als Einrichtung der Entwicklungsförderung junger Menschen zu gestalten, diese menschenwürdig zu behandeln und sie inhaltlich zu erreichen. Hierzu sollten auch offene und freie Formen z.B. gemäß § 26 Abs. 4 JAVollzG NRW in Betracht gezogen und ein pädagogisches Konzept entwickelt werden, welches junge Menschen reell in ihrer Entwicklung fördert und konsequent auf entsprechenden pädagogischen Prämissen aufbaut.

Erziehungsauftrag und gesetzliche Grundlagen des Jugendarrests

Aus der Begründung zum Verfassungsgerichtsurteil aus dem Jahre 2006 geht hervor, dass das im SGB VIII formulierte Recht auf Entwicklungsförderung in Einrichtungen der Jugendstrafrechtspflege die zentrale Leitlinie der inhaltlichen Ausgestaltung darzustellen hat.
Dementsprechend sind sowohl der Auftrag zur erzieherischen Ausgestaltung des Jugendarrests (§90 Abs. 1 JGG) als auch das allgemeine Ziel des Jugendstrafrechts, namentlich einer sozial verantwortlichen Lebensführung in Straffreiheit, zu interpretieren und auszugestalten.

Da eine fachwissenschaftliche Interpretation von Erziehung bereits an anderer Stelle hinreichend expliziert wurde (vgl. Walkenhorst 2004; Bihs 2014), werden nachfolgend nur zentrale Aspekte angeführt. Erziehung, verstanden als Förderung der Persönlichkeitsentwicklung von jungen Menschen dient der selbständigen und selbstverantwortlichen Lebensführung (vgl. Brezinka 1977, S. 91; Menck 1998, S. 21; Preiser 2009, S. 321).  Hierfür arrangieren Erziehende für eine entsprechende Zielgruppe Lernsituationen, in denen neue (als erwünscht bewertete) Verhaltensweisen erlernt, geübt oder vertieft, bzw. als unerwünscht bewertete Verhaltensweisen abgebaut werden können (vgl. Brezinka1995, S. 161f.), wobei die Bewertung einer Verhaltensweise als erwünscht oder unerwünscht abhängig von den jeweils gültigen Norm- und Wertvorstellungen einer Gesellschaft ist (vgl. Speck 1996, S. 40). Die zugrundeliegenden Gesetze (allen voran das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sowie das SGB VIII) und Konventionen (bspw. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie die Europäischen Empfehlungen für Inhaftierte und ambulant sanktionierte jugendliche Straftäter (ERJOSSM)), bilden nicht nur das ethisch-normative Fundament unserer Gesellschaft und bestimmen die inhaltliche Leitlinie für öffentliche Erziehung, sondern begrenzen auch den Erziehungsbegriff zum Schutz der jungen Menschen: Öffentliches pädagogisches Handeln kann und darf dementsprechend nicht den Anspruch einer „Gesamterziehung“ haben, sondern lediglich auf einen jeweils spezifischen institutionellen Zweck abzielen (vgl. Koring 1992, S. 37; Oelkers 2001, S. 256; Giesecke 2010, S. 113; Trenczek 2003, S. 40), der dabei stets auf das Wohl und die Förderung der davon betroffenen jungen Menschen ausgerichtet sein muss (Schwer et al. 2014, S. 72; Bihs 2014, S. 332).

Die kurze Dauer des Jugendarrests von maximal vier Wochen ist als pädagogische Herausforderung zu sehen, da erzieherische Prozesse grundsätzlich auf längere Zeiträume angelegt sind. Dennoch sind unter Beachtung spezifischer kurzzeitpädagogischer Bedingungen positive Effekte möglich. Entscheidend hierfür ist die Berücksichtigung zeitökonomischer Aspekte. Erziehungszeit ist Lebenszeit, die nicht verschwendet werden darf (Velthaus 2005, 135), was bereits impliziert, dass ungestaltete „Leerlaufphasen“ nicht zu verantworten sind. Zentral ist dabei die Unterscheidung von „Dringlichem“ und weniger „Dringlichem“, da nicht alle Problemlagen der jungen arrestierten Menschen bearbeitet werden können (Oelkers 2001, 221). Voraussetzung dafür ist eine intensiv gestaltete Aufnahme-, Diagnose- und Kennenlernphase im Jugendarrest, während derer die zentralen Anliegen und aktuellen Problematiken der jungen Menschen herausgearbeitet werden.

Der Jugendarrest als Ort der Jugendbildung

Ein Selbstverständnis, das sowohl die Entwicklungsbedingungen und Lebenslagen der jungen arrestierten Menschen berücksichtigt als auch dem gesetzlichen Auftrag entspricht, bestünde in einem Jugendarrest als „Ort der Jugendbildung“ (vgl. Bihs, Schneider, Tölle, Zimmermann 2015)[2].  Bildung, verstanden als „der umfassende Prozess der Entwicklung und Entfaltung derjenigen Fähigkeiten, die Menschen in die Lage versetzen, zu lernen, Leistungspotenziale zu entwickeln, kompetent zu handeln, Probleme zu lösen und Beziehungen zu gestalten“ (BJK, Sachverständigenkommission für den Elften Kinder- und Jugendbericht & Arbeitsgemeinschaft für Kinder und Jugendhilfe (AGJ) 2002, S. 317), bietet einerseits die Chance einer zukunftsorientierten, stärker an den Ressourcen der jungen Menschen anknüpfenden Arrestvollzugspraxis. Andererseits stellt das in der Fachwissenschaft verbreitete Verständnis von „Jugendbildung(sarbeit)“ eine geeignete inhaltliche Übersetzung des gesetzlichen Auftrags dar, allen voran, wenn bedacht wird, dass das Ermöglichenverantwortungsvoller gesellschaftlicher Teilhabe sowie die Entwicklungsförderung genuiner Auftrag von Bildungsprozessen ist.

Für die Ausgestaltung eines konsequent jugendbildungsorientierten Jugendarrests wird hoch qualifiziertes Personal benötigt, das Standards professionell-pädagogischen Handelns kennt und umsetzen kann (vgl. hierzu z.B. Koring 1992, 68f.; Giesecke 1996, 122; Fend, 2005, 466f.). Das hier skizzierte Verständnis von Jugendarrest als Ort der Jugendbildung kann nur dann in die Praxis transportiert werden, wenn die Mitarbeiter/innen bereit sind, intensive Beziehungsarbeit mit den ihnen anvertrauten jungen Menschen zu leisten. Ebenso müssen sie das Verhalten junger Menschen (auch Fehlverhalten) auf der Grundlage fachlichen Wissens interpretieren sowie angemessen damit umgehen können. Eine professionelle Haltung, die von der positiven Entwicklungsfähigkeit junger Menschen ausgeht und das Ermöglichen von Lernen zur Leitlinie allen pädagogischen Handelns erhebt, ist grundlegend für die Erfüllung dieser Standards (vgl. Fend 2005, 470) und muss auch auf der Führungsebene kommuniziert und transportiert werden.

Daneben müssen die materiell-baulichen Gegebenheiten den Entwicklungsförderungsauftrag des Jugendarrests ermöglichen. Zentral ist dafür die Abschaffung der weit verbreiteten Praxis (kritisch dazu Eisenhardt 2010, 14), Jugendarrestanstalten baulich an Einrichtungen des Strafvollzuges anzugliedern, was gemäß § 1 Abs. 2 JAVollzO ohnehin ein rechtswidriger Zustand ist. Der den Arrestanstalten teilweise innewohnende „Gefängnischarakter“ (vgl. Thalmann 2011, 80) kann der helfenden und entwicklungsfördernden (Bildungs-)Arbeit des Jugendarrests zuwider läuft. Hier sollte durch eine wohnliche Gestaltung der Räumlichkeiten – durchaus auch in Zusammenarbeit mit den jungen arrestierten Menschen – gegengesteuert werden[3].

Die Arrestanstalten benötigen ausreichende Räumlichkeiten, um Förder- und Bildungseinheiten mit einer angemessenen Anzahl junger arrestierter Menschen anbieten zu können. Die Räume müssen so ausgestattet sein, dass dort Lerneinheiten stattfinden können (dies umfasst u.a. Tische und Stühle, Tafel, Beamer, Moderationskoffer, Lesematerialien, TV-Gerät aber auch Akustik, Dekoration etc.). Zur gemeinsamen Zubereitung und Einnahme von Mahlzeiten sind eine Gemeinschaftsküche sowie ein großer Speiseraum vorzuhalten. Für Sport- und Freizeitveranstaltungen benötigen die Arrestanstalten mindestens einen Freizeitraum mit entsprechender Ausstattung u.a. für Film- und Spieleabende sowie eine Sporthalle und ein Außengelände, auf dem sportliche Gruppenaktivitäten möglich sind. Zudem sollte jede Arrestanstalt über eine eigene Bücherei mit ausgewählter Jugendliteratur verfügen. Auch entsprechende Räumlichkeiten für die Aufnahme-, Diagnose- und Entlassungsgespräche müssten vorgehalten werden.

 

II. Anmerkungen zu einzelnen Vorschriften des Entwurfs

Ziel des Jugendarrests (§ 2)

Gelungen an diesem Paragrafen ist die Formulierung, dass der Jugendarrest einen Beitrag zur Führung eines eigenverantwortlichen Lebens ohne weitere Straftaten leisten soll. Dies verdeutlicht die begrenzte Reichweite des Jugendarrests, von dem nicht erwartet werden kann, innerhalb von maximal vier Wochen jahrzehntelange Sozialisationsprozesse grundlegend positiv zu verändern und beugt damit Schuldzuweisungen gegenüber den betroffenen jungen Menschen vor, falls sie, was nicht unwahrscheinlich ist,  nach dem Arrest noch nicht in der Lage sind, ein Leben ohne Straftaten zu führen. Der Begriff der Befähigung

scheint ebenfalls gut gewählt, weil er die unterstützende Ausrichtung des Jugendarrests, der auf positive Verhaltensänderung abzielt, unterstreicht.

Weniger gelungen ist die Konzentration auf die Unrechtsverdeutlichung, die keine zukunftsorientierten Perspektiven für positive Verhaltensänderungen eröffnet. 

Was gänzlich fehlt und zu ergänzen wäre, ist die Bestimmung, die Angebote im Jugendarrest insbesondere auch auf weitere Hilfs- und Betreuungsangebote für die Zeit nach der Entlassung auszurichten, wie beispielsweise im § 2 JAVollzG SH geschehen.

Stellung der Arrestierten, Mitwirkung (§ 3)

§3 Abs. 1 erscheint vor dem Hintergrund des Art. 1 Abs. 1 GG redundant und sollte bezogen auf das professionelle Handeln  als selbstverständlich gelten.

Zu begrüßen ist der Abs. 2, weil er beschränkende Maßnahmen eingrenzt und somit die jungen arrestierten Menschen vor unrechtmäßigen Eingriffen in ihre Freiheit geschützt und in ihrer Selbstverantwortlichkeit für ein sozial angemessenes Verhalten herausgefordert werden.

Kritisch muss aus pädagogischer Sicht die „Mitwirkungspflicht an Maßnahmen“ gesehen werden. Generell wäre es gelungener die Formulierung „Angebote“ statt „Maßnahmen“ zu wählen, weil damit ein Erziehungsverständnis deutlich würde, welches die zu Erziehenden als Subjekte versteht, die auch im Zwangskontext die Freiheit besitzen, Lernangebote annehmen oder verweigern zu können. Das soll nicht bedeutet, dass den jungen arrestierten Menschen grundsätzlich gestattet wird, an Angeboten nicht teilzunehmen. Vielmehr weist der Angebotsbegriff und der Verzicht auf die sanktionierbare Mitwirkungspflicht auf die Unplanbarkeit pädagogischer Erfolge, die Verpflichtung der Mitarbeiterinnen zur Gestaltung möglichst motivierender und lernförderlicher Angebote hin und sichert die Freiheit der betroffenen jungen Menschen. Das Risiko der Fremdbestimmung, welches freiheitsentziehende Settings immer bergen (vgl. Permien 2010, 90), würde somit abgemildert, was wiederum positive Effekte auf die Lernbereitschaft der jungen Menschen haben kann. Gelungen ist in diesem Zusammenhang der letzte Satz des Abs. 3, der als partizipatives Gestaltungselement die Erläuterung der Maßnahmen im Arrest gegenüber den jungen Menschen vorsieht. Um diese partizipative Gestaltung auszuweiten, sollten die Angebote auch mit den jungen Menschen abgestimmt werden.

Grundsätze der Vollzugsgestaltung (§ 4)

Generell ist eine erzieherische Ausrichtung des Arrests sowie die Bestrebung die negativen Folgen des Freiheitsentzuges entgegen zu wirken, begrüßenswert. Wünschenswert wäre die Verpflichtung, ein erzieherisches Konzept vorzulegen, das unter erziehungswissenschaftlichen Grundsätzen zu erarbeiten und begleiten ist (vgl. Hierzu auch SH).

In Abs. 3 wird der entwicklungspsychologischen Orientierung des Gesetzentwurfs Rechnung getragen, da insbesondere auch der individuelle Entwicklungsstand der jungen Menschen bei der Arrestgestaltung zu berücksichtigen ist. Notwendig sind hierfür allerdings eine eingangs durchzuführende (Entwicklungs-)Diagnostik sowie differenzierende und klientelgerechte Förderangebote, um diese Vorgabe in die Praxis umsetzen zu können.

Maßnahmen erzieherische Gestaltung (§5)

Zu der Formulierung „Maßnahmen“ wurde bereits weiter oben Stellung genommen.

Gelungen ist das unter Abs. 1 formulierte Ziel, die jungen Menschen daran heranzuführen,  Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen. Das Bewusstsein für das dem Opfer zugeführten Schaden zu wecken, scheint im Rahmen der Möglichkeiten des Jugendarrests etwas weit gegriffen. Sicherlich ist es sinnvoll Empathie und Mitgefühl für alle Menschen zu fördern (vgl. hierzu auch JAvollzG SH §2), angesichts der Tatsache, dass abweichendes Verhalten junger Menschen eher geringen wirtschaftlichen Schaden anrichtet und auch nur selten ein „Opfer“ hat, wirkt der letzte Halbsatz etwas dramatisierend und nicht angemessen für ein Gesetz. Zudem stellt eine Auseinandersetzung mit dem begangenen Unrecht vermehrt auf negative Spezialprävention ab; Aspekte der Förderung und Bildung, die für eine sozial verantwortliche Lebensführung in Freiheit unabdingbar sind, geraten darüber in Vergessenheit.

In Abs. 2 wird eine ressourcenorientierte Ausrichtung des Gesetzesentwurfs deutlich, da hier ausdrücklich von Förderung der Fähigkeiten und Begabungen der jungen Menschen die Rede ist. Diese Regelung ist zu begrüßen, da sie die Konzentration auf mögliche positive Verhaltensveränderungen verdeutlicht und nicht nur vergangenes Fehlverhalten in den Blick nimmt. Hierfür erscheint es notwendig, dass die jungen Menschen als Expert/innen für ihre eigene Lebens- und Bildungsbiografie anerkannt und in den Prozess über mögliche Angebote und Weiterbegleitungsmaßnahmen einbezogen werden.

Die Bestimmung in Abs. 5, die jungen arrestierten Menschen in der Bewältigung ihrer persönlichen und sozialen Schwierigkeiten zu unterstützen, verdeutlicht die helfende Ausrichtung des Jugendarrests und ist zu begrüßen, da ohne eine positive Veränderung der Lebensverhältnisse der jungen Zielgruppe auch keine grundlegenden Verhaltensveränderungen erwartet werden können.

Wünschenswert wäre es außerdem, der begrenzten Reichweite des Jugendarrests Rechnung zu tragen, in dem bereits an dieser Stelle auf die Anknüpfung an bestehende Fördermaßnahmen außerhalb des Arrestes sowie die Ermittlung des weiteren Förderbedarfs der arrestierten jungen Menschen abgestellt wird (vgl. § JAvollzG SH §4 Abs. 5,6). Der Aufenthalt im Jugendarrest kann angesichts der knappen Zeitressourcen Lebenslagen nicht grundlegend positiv ändern, möglicherweise aber durch eine konzentrierte Diagnose, Ressourcen und Bedarfe der jungen Menschen erkunden und nachgehende Förderangebote initiieren kann. Es wäre somit in Übereinstimmung mit §4 Abs. 3 (insbes. bezogen auf die Eingangsdiagnostik) zu überlegen, welche konkreten Angebote, durchaus unter Beteiligung der von Arrest betroffenen jungen Menschen und in Kooperation mit externen Trägern und Institutionen, vorgehalten werden.

Zusammenarbeit, Einbeziehung Dritter (§ 6)

Positiv hervorzuheben ist Abs. 1, der verdeutlicht, dass nicht nur das pädagogische Fachpersonal (Angehörige des Sozialdienstes, des pädagogischen sowie des psychologischen Dienstes) für die entwicklungsförderliche Ausgestaltung des Jugendarrests verantwortlich ist, sondern auch der Allgemeine Vollzugsdienst, der in der Regel den gesamten Alltag vor Ort betreut, eine zentrale Rolle beim Erreichen des Arrestziels einnimmt.

Abs. 2 ist um die Kooperation mit weiteren „Externe“ wie freie Träger der Jugendhilfe, (Fach-) Hochschulen etc. zu erweitern.

Dass zu den Personensorgeberechtigten proaktiv Kontakt aufgenommen und ggf. persönliche Gespräche mit ihnen geführt werden sollen, ist zu begrüßen. Diese Bestimmung leistet einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der sozialen Schwierigkeiten, deren Ursachen nicht selten im (defizitären) Familiengefüge der jungen Menschen liegen. Zudem kann der Einbezug der Personensorgeberechtigten den Transfer des im Jugendarrest Gelernten erleichtern, da ein Großteil der jungen arrestierten Menschen bei den Personensorgeberechtigten lebt. Gerade bei sehr kurzzeitigen Programmen ist eine Einbettung der Interventionen in die Lebenswelt der Adressatinnen und Adressaten für nachhaltige Erfolge wesentlich (vgl. Thiersch 2005, 25f.; Budmann & Gurmann 1988, 11).

Ermittlung des Hilfebedarfs, Erziehungsplan (§8)

Die Bestimmungen zur Ermittlung des Hilfebedarfs sind insgesamt zu begrüßen. Unter der notwendigen Beachtung zeitökonomischer Aspekte (siehe oben) ist das vorgesehene Gespräch allerdings innerhalb der ersten 24 Stunden durchzuführen, damit keine „Leerzeiten“ entstehen und direkt im Anschluss der Aufnahmephase mit einer zielführenden inhaltlichen Ausgestaltung begonnen werden kann. Entsprechend müssten in Abs. 1 die Formulierung „alsbald“ durch „innerhalb von 24 Stunden“ ersetzt werden.

Die Erstellung des Förderplans sollte unbedingt gemeinsam mit dem jungen Menschen geschehen, den er betreffen wird. Dieses Vorgehen sichert zum einen, dass der Wille der jungen Menschen einbezogen wird und zum anderen, dass damit auch eine höhere Verbindlichkeit der verabredeten Schritte erzeugt wird (Lüttringhaus & Streich 2007, S. 140). Aufgrund der Kürze der Arrestzeit muss der Fokus des Förderplans auf der Zeit nach der Entlassung  liegen. Deshalb sollte der Förderplan bei Zustimmung des jungen Menschen unbedingt an die Personensorgeberechtigten und auch andere Akteure (Bewährungshilfe, Jugendhilfe) weitergegeben werden. 

Aufenthalt außerhalb der Einschlusszeiten (§ 10)

Aufenthalt in Gemeinschaft kann förderlich sein um angemessene soziale Interaktion in der Gruppe zu erlernen. Unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes und der Persönlichkeit sowie der Privatsphäre der jungen Menschen, ist allerdings dringend davon abzuraten, dass der Aufenthalt in Gemeinschaft nur von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen eingeschränkt werden kann und nicht von den jungen Menschen selbst, die sich gegebenenfalls zurück ziehen möchten - Zeit alleine, in Reflexion beispielsweise, kann auch erzieherisch wirksam sein. Die intensive (Gruppen-)Arbeit über mehrere Stunden hinweg mit zum Teil höchst belasteten jungen Menschen, kann nicht zuletzt auf Grund der totalen Institution immanenten  subkulturellen Strömungen für die Mitarbeiterschaft und die jungen Menschen sehr fordernd sein.

Der Abs. 2 Punkt 3 bedarf weiterer Spezifizierung. Leitfragen könnten hier lauten: Wie sieht dieser Ausschluss von der Gemeinschaft aus? Wie lange darf dieser durchgesetzte werden? Welche erzieherischen Gründe sprechen dafür die jungen Menschen auszuschließen? Eine Konkretisierung ist hier notwendig um erzieherisches Handeln zu begrenzen und nicht der Beliebigkeit zu verfallen.

Kleidung (§12)

Das Tragen eigener Kleidung ist für die Identitätsbildung und die Entwicklung der  Persönlichkeit bedeutsam. Es ist deshalb wichtig, dass die jungen Menschen generell eigene Kleidung tragen dürfen. Wie die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung durch das Tragen eigener Kleidung gefährdet werden soll, ist schwerlich nachzuvollziehen – zumal andere Jugendarrestvollzugsgesetzte (hier namentlich NRW und SH) auf diese Klausel verzichtet haben. Ebenfalls ist die Verantwortung der Reinigung bei den Arrestierten. Hier sollte spezifiziert werden, wie diese Reinigung innerhalb der Einrichtung von statten gehen kann. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass ggf. nicht alle jungen Menschen das Reinigen der Kleidung beherrschen; hier bietet sich eine weitere Gelegenheit eine Lerngelegenheit zu implementieren (vgl. §5 Abs. 3 „Unterstützung der lebenspraktischen [...] Entwicklung“). 

Bildung und Beschäftigung (§ 14)

Begrüßenswert ist die Formulierung „Bildung“, allerdings wäre hier zu spezifizieren, welche Bildungsangebote innerhalb der JAA angeboten und/oder außerhalb der JAA besucht werden können (beispielhaft §5 (Förderangebote) JAVollzG SH). Den im zweiten Satz implizierten Übertragungen von Aufgaben innerhalb der Anstalt kann aus pädagogischer Sicht nicht zugestimmt werden. Der Gesetzgeber verpflichtet sich gegenüber den jungen Menschen, wenn er sie in so jungen Jahren in Gewahrsam nimmt, ihre Entwicklung zu fördern (siehe auch Ausführungen zum Urteil des Bundesverfassungsgericht von 2006 oben). Mit der Übertragung helfender Aufgaben wird dieser Aufgabe nicht ausreichend nachgekommen.

Verpflegung und Gesundheitsschutz und Hygiene (§16)

Die Angebote der Gesundheitsfürsorge sind ausdrücklich zu begrüßen. Wünschenswert wäre weiterhin eine inhaltliche Spezifizierung der Angebote, beispielsweise wäre eine gemeinsame Zubereitung der Speisen eine Möglichkeit, die jungen Menschen bezüglich gesunder Ernährung zu sensibilisieren. Eine Kooperation mit externen Trägern (Suchtberatung, AIDS-Hilfe etc.) wäre wünschenswert. Außerdem wäre über weitere, niedrigschwellige Möglichkeiten der Gesundheitsfürsorge nachzudenken (bspw. Ausgabe von Kondomen, Obst und Gemüse als Zwischenmahlzeiten, Gesundheitschecks etc.).

Bei der unter Abs. 2 beschriebenen Stunde im Freien wäre es wünschenswert, diese deutlich vom „Hofgang“ abzugrenzen und mit zielführenden Angeboten (bspw. sportive Angebote, Turniere, Wanderungen etc.) zu füllen. Weiterhin ist darüber nachzudenken, inwieweit die Aufenthaltsdauer im Freien zeitlich auszudehnen ist, wenigstens auf zwei Stunden täglich.

Außenkontakte (§ 18)

Das Gestatten von Besuchsempfang von mindestens einer Stunde wöchentlich stellt ein Novum gegenüber der bisher geltenden JAVollzO dar und ist v.a. hinsichtlich der nun möglichen Kontaktpflege von jungen Arrestierten zu ihren eigenen Kindern und ihren Personensorgeberechtigten zu unterstützen. Aus pädagogischer Sicht wäre es wünschenswert die Kann-Bestimmung in eine Muss-Bestimmung zu ändern.

Aufenthalte außerhalb der Anstalt (§19)

Hier ist begrüßenswert, dass Aufenthalte außerhalb der Anstalt generell gewährt werden können.  Da es sich im Arrest um einen relativ kurzen Aufenthalt handelt, müssten allerdings alle jungen Menschen hierfür „geeignet“ sein, zumal diese Eignung nicht weiter spezifiziert wird.  Als Kann-Bestimmung besteht weiterhin die Gefahr, dass diese Vorschrift nicht immer umgesetzt wird, diese sollte für bestimmte Aktivitäten außerhalb der Anstalt in eine „muss“-Formulierung verändert werden. Hierzu gehören Schulbesuch bzw. die Fortsetzung der Ausbildungs-/Arbeitstätigkeit. Schul-, Ausbildungs- oder Arbeitsabbrüche, die die weitere Entwicklung erheblich negativ beeinflussen würden, können so vermieden werden. Unter Abs. 2 wären zusätzlich weitere bedeutsame Aktivitäten (Vorstellungsgespräche, Geburtstage von engen Verwandten etc.) zu nennen.

Ergänzt werden sollte weiterhin die Möglichkeit, an dem Arrestziel förderlichen Veranstaltungen oder Angeboten außerhalb der Anstalt teilzunehmen.

Sicherheit und Ordnung sowie allgemeine Verhaltenspflichten (§§ 21, 22)

Wie bereits im allgemeinen Teil erläutert, erfolgt Bildung und Förderung immer dann am besten, wenn du jungen Menschen in Freiheit lernen können, wenn ihre Interessen berücksichtig werden und sie die Angebote selbst als sinnstiftend erleben. Insofern sind sie, als Expertinnen für ihre eigene Lebens- und Bildungsbiografie grundsätzlich aktiv einzubeziehen. Somit ist die prominente Stellung von Sicherheit und Ordnung in § 21 Abs. 1 nicht nachvollziehbar und  - wenigstens aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive – inhaltlich auch nicht richtig. Die Grundlage eines auf das Arrestziel (!) gerichteten Anstaltslebens ergibt sich aus einem inhaltlich konsistenten, und konsequent auf Erziehung, Entwicklungsförderung und Jugendbildung ausgerichteten Programm, das die Bedürfnisse und Lebenslagen der jungen Menschen aktiv einbezieht sowie aus einer fachlich entsprechend hoch qualifizierten und den jungen Menschen zugewandten Mitarbeiterschaft. Die Herstellung eines gewaltfreien Klimas ist sodann Aufgabe sowohl der jungen Menschen als auch der Mitarbeiterschaft.

Ebenso weisen die Bestimmungen unter § 22 auf eine hohe Fremdbestimmung der jungen arrestierten Menschen hin. Dass ihr Verantwortungsbewusstsein für ein sozialverträgliches Miteinander durch das Befolgen von starren Regelungen gefördert werden kann, ist aus pädagogischer Sicht nicht einleuchtend. Sicherlich muss in einer Arresteinrichtung Sicherheit und Ordnung hergestellt und aufrechterhalten werden, doch ergibt sich für die jungen Menschen durch vorgegebene Reglementierungen kein Spielraum für das eigene Erlernen angemessener Verhaltensweisen, vielmehr wäre von einer Scheinanpassung an die geltende Anstaltsordnung auszugehen, was dem Ziel des Gesetzes diametral entgegenstünde. Vor allem eine konsequente pädagogische Ausgestaltung des Arrests trägt zu einem friedlichen Miteinander bei.

Es bleibt fraglich, ob die reine Vorgabe von Verhaltenspflichten den Zweck erfüllen kann, die jungen Menschen auf eine eigenverantwortliche und sozial angemessene Tagesgestaltung in Freiheit vorzubereiten. Vielmehr sollte es Aushandlungsspielräume mit den jungen arrestierten Menschen geben, durch die sie exemplarisch und modellhaft lernen können, eigene Anliegen angemessen vorzubringen und durchzusetzen, die es ihnen aber auch ermöglichen, in sozial verträglicher Weise mit Ablehnung umzugehen, wenn der eigene Vorschlag nicht überzeugend oder mehrheitsfähig ist.

Zu begrüßen sind die Bestimmungen zur Regelung von Fehlverhalten in einem erzieherischen Gespräch. Auch das Anwenden einer großen Bandbreite an gegenwirkenden Erziehungsmitteln (Abs. 2) ist gelungen. Allerdings wird hier deutlich, dass die gegenwirkenden Maßnahmen allesamt auf die reine Disziplinierung gerichtet sind und nicht die Reflexion des Fehlverhaltens anregen und somit Perspektiven für positive Verhaltensänderungen eröffnen. Zu überlegen wäre, ob das Erledigen von Diensten oder Besinnungsaufsätze o.ä. hinzugezogen werden können.

Insbesondere die Dauer der beschränkenden Maßnahmen sollte auf ein Maximum von 3 Stunden herabgesetzt werden, da gemäß Abs. 2 ansonsten u.a. die Möglichkeit bestünde, die jungen Menschen bis zu zwei Tagen von Freizeit- und Gruppenveranstaltungen auszuschließen, womit insbesondere bei kurzen Arrestzeiten das Arrestziel nicht mehr verwirklicht werden kann.

Besondere Sicherungsmaßnahmen (§ 26)

Bei Suizidgefahr oder Tendenzen der Selbstverletzung sollte zwingend und sofort das Hinzuziehen psychiatrischer Fachkräfte vorgeschrieben und die Arresteignung geprüft werden, da der Jugendarrest nicht für die Behandlung psychiatrischer Auffälligkeiten bzw. Erkrankungen ausgestattet ist. Die Formulierung unter Abs. 9 „alsbald“ muss in „unverzüglich“ umgeändert werden. Aus pädagogischer – und menschenrechtlicher - Sicht ist eine Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum generell abzulehnen. In solchen Fällen sollte eher vom Vollzug des Arrests abgesehen werden. Empfehlenswert wäre deshalb, auf besondere gesicherte Hafträume nach Vorbild des § 41 JAVollzG SH zu verzichten.

Unmittelbarer Zwang (§ 27)

Der hier gestattete Einsatz von Fesseln und Reizstoffen (Abs. 2) ist für die Erfordernisse im Jugendarrest unverhältnismäßig und aus dem Gesetzesentwurf herauszunehmen. Körperliche Überwältigung ist nur in absoluten Notfällen möglich. Als Beispiel könnten hier bewährte Konzepte der Jugendhilfe dienen, die gänzlich ohne „unmittelbaren Zwang“ im hier verstandenen Sinne auskommen.

Entlassung, Nachsorge (§§ 15, 30)

Als positiv hervorzuheben ist, dass die Verzahnung mit der Nachsorge hier geregelt ist. Wünschenswert wäre es, den verfassten Erziehungsplan mit dem weiteren Förderungs- und Betreuungsbedarf zu vermerken und an den jungen Menschen, die Personensorgeberechtigten sowie die Jugendhilfe o.ä. weiter zu geben.

Einrichtung und Ausstattung der Anstalt (§32)

Begrüßenswert ist die unter Abs. 3 geregelte bedarfsgerechte Einrichtung für pädagogische Angebote. Rückschrittlich ist die Regelung unter Abs. 1, dass der Arrest nur in Einrichtungen der Justizverwaltung durchgeführt werden kann und damit neuere Formen der Unterbringung – in sogenannten freien Formen – verunmöglicht werden. Gelungene Beispiele für vorbildliche Regelungen sind bspw. § 61 JAvollzG SH sowie §26 Abs. 4 JAVollzG NRW, die auch in das saarländische Gesetz Einzug halten sollten. Mögliche Argumente gegen einen Jugendarrest in freien Formen, die sich auf den Standort des Saarlandes und ggf. geringe Arrestzahlen beziehen, können nicht in ein Gesetz einfließen, das den Jugendarrestvollzug eines Bundeslandes und nicht einer einzelnen Einrichtung regelt.

Mit freundlichem Gruß
für den DBH-Fachverband
Peter Reckling
(Bundesgeschäftsführer)


[1]Literatur bei den Verfasser/innen.
[2]Es ist auch darüber nachzudenken, ob der Jugendarrest mit einem passenderen Label versehen werden kann – bspw. „Jugendbildungsstätte“ (Bihs & Walkenhorst 2009) oder „Ort der Jugendbildung“ versehen werden.
[3]Zur räumlichen Gestaltung von Jugendeinrichtungen im Bereich der Erziehungshilfe siehe FLOSDORF 1988 („Theorie und Praxis stationärer Erziehungshilfe“).


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