Schwarzfahren: DBH fordert die Prüfung des Wegfalls der Ersatzfreiheitsstrafe und die Prüfung alternativer Sanktionen

Datum: 
2018-06-26 00:00:00

Ist die Strafbarkeit des Fahrens ohne Fahrkarte im öffentlichen Nahverkehr („Schwarzfahren“) noch zeitgemäß? Die Landesjustizminister*innen sind sich uneinig, die Justiz beklagt eine starke Überbelastung: Die hohe Zahl der Fälle belaste die Strafverfolgungsbehörden unnötig, zudem führe die Rechtspraxis - verhängte Geldstrafen zu vollstrecken - zu zahlreichen Ersatzfreiheitsstrafen.

In der (fach-)öffentlichen Diskussion sind Forderungen von der Abschaffung der Strafnorm, über die Herabsetzung als Ordnungswidrigkeit bis hin alles beim Alten zu belassen, zu lesen und zu hören. Konkret geht es um § 265 a StGB (Strafgesetzbuch): Wegen Erschleichens von Leistungen kann eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe verhängt werden. Werden die gerichtlich verhängten Tagessätze (§ 40 Abs. 1 S. 1 StGB) der Geldstrafe nicht gezahlt, kann es zu einer Ersatzfreiheitsstrafe (§ 43 StGB) kommen – die Geldstrafe muss also ersatzweise abgesessen werden. Das Strafgesetzbuch kennt als Hauptstrafen die Freiheitsstrafe (§§ 38f. StGB) sowie Geldstrafe (§§ 40ff. StGB) und als Nebenstrafe das strafrechtliche Fahrverbot (§ 44 StGB).

Mediale Aufmerksamkeit erreichte der nordrhein-westfälische Justizminister Biesenbach mit seiner Aussage, dass 2016 ca. 100.000 Verfahren der Staatsanwaltschaft in Nordrhein-Westfalen das „Schwarzfahren“ beträfen, dies seien ca. 8,5 % aller erledigten Verfahren.[1] Bundesweit zählt die Strafverfolgungsstatistik für 2016 nach § 265 a StGB insgesamt 61.320 und nach Jugendstrafe 3.812 verurteilte Personen.[2] Statistische Angaben über den Anteil jener Personen, die speziell wegen „Erschleichens von Beförderungsleistungen“ verurteilt wurden, lassen sich nicht finden. Nach der Polizeilichen Kriminalstatistik 2017 wurden bundesweit 156.661 Tatverdächtige wegen Beförderungserschleichung registriert.[3] Nach einer Antwort des Deutschen Bundestages vom 20. Februar 2018 ist die Anzahl der Gefängnisinsassen, die wegen der Verhängung einer Ersatzfreiheitsstrafe in Haft waren, im Zeitraum von 2014 bis 2017 bundesweit von 4.042 auf 4.700 Inhaftierte[4] gestiegen. Gleichzeitig sank die Gesamtzahl der Personen mit Freiheits- und Jugendstrafe.[5] Ein Haftplatz kostet pro Tag durchschnittlich 130 Euro.[6] Nach Auskunft der Landesregierung Nordrhein-Westfalen soll der überwiegende Teil der zu einer Ersatzfreiheitsstrafe verurteilten Personen wegen Erschleichens von Beförderungsleistungen inhaftiert sein.[7]

Es geht dabei um mehr als nur um eine strafrechtliche und ökonomische Betrachtung: Statistiken zeigen, dass überwiegend obdachlose, suchtkranke und überschuldete Personen betroffen sind.[8] Die Mehrheit der „Schwarzfahrer*innen“ sei vielmehr zahlungsunfähig als -unwillig, da sie nur über ein Einkommen im Sozialhilfe-  bzw. Grundsicherungsbereich verfügen.

Bewertung:

1- Strafrecht als Ultima Ratio

Das Strafrecht ist das schärfste Instrument des Staates. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie dem Subsidiaritätsprinzip kann das Strafrecht nur als letztes Mittel - als Ultima Ratio - eingesetzt werden, wenn elementare Rechtsgüter verletzt werden.[9] Mit anderen Worten sind immer andere Steuerungsinstrumente des Gesetzgebers (z. B. Zivilrecht) und Alternativen vorzuziehen.

Die Folgen einer strafrechtlichen Sanktionierung des „Schwarzfahrens“ sind mit einer Eintragung ins Bundeszentralregister und ggf. der Einstufung als vorbestraft verbunden. Ob hier ein verhältnismäßiger Eingriff des Staates durch Anwendung des Strafrechts vorliegt (Ultima Ratio), muss deutlich in Frage gestellt werden!

2. Ersatzfreiheitsfreiheitsstrafe? Haftvermeidung!

Kommt das Gericht zu der Feststellung, dass eine Straftat schuldhaft begangen wurde und die Verhängung einer Geldstrafe angemessen und verhältnismäßig sei, ist es bei der Strafumwandlung der Geldstrafe zu einer Ersatzfreiheitsstrafe fraglich, wie hier die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden kann. Der Grundsatz der Strafzumessung war gerade die Vermeidung des Freiheitsentzuges! Bei einem durchschnittlichen Haftkostenbetrag von 130 Euro pro Tag entstehen bei der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe erhebliche Staatsausgaben. War es nicht aber angedacht, dass der Staat gerade bei der Vollstreckung von Geldstrafen Geld bekommt? Man bedenke, dass die Geldstrafe ursprünglich eingeführt wurde, um kurze Freiheitsstrafen zurückzudrängen.[10] Vielmehr ist anzunehmen, dass die Ersatzfreiheitsstrafe diesem Ursprung entgegenwirkt. Widerspricht dies dann nicht dem Strafcharakter der Geldstrafe? Alternativlos ist eine Ersatzfreiheitsstrafe nicht: So sieht beispielsweise § 459c Abs. 2 StPO einen Ermessensspielraum vor, sodass die Vollstreckung der Geldstrafe unterbleiben kann, wenn die Vollstreckung in absehbarer Zeit erfolglos ist.

3. Soziale Frage

Ist es der einzige und angemessene Weg auf Beförderungserschleichung (im zivilrechtlichen Bereich) strafrechtlich zu reagieren? Sind nicht andere sozial gerechte und nachhaltige Konfliktlösungen vorzuziehen? Insbesondere der Freiheitsentzug führt zu massiven Einschränkung für die Person und einer möglichen Stigmatisierung. Die mit der Inhaftierung verfolgten positiven Auswirkung einer „Resozialisierung“ sind mehr als fraglich. Interessante Schlussfolgerungen lassen sich beispielsweise in der europäischen Studie zu Haftalternativen „Reducing Prison Population“[11] finden. Dies gilt letztendlich nicht nur für die Ersatzfreiheitsstrafe, sondern auch für kurze Freiheitsstrafen.

Es ist längst überfällig, Alternativen zu prüfen und zu fördern!

 

[2] Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 3, 2016.

[5] Belegung nach Freiheitsstrafe/Jugendstrafe/Sicherungsverwahrung ist von 49.131 (Stand 3. November 2014) auf 48.862 (Stand 31. November 2017) gesunken, vgl. https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Rechtspflege/StrafverfolgungVollzug/BestandGefangeneVerwahrtePDF_5243201.pdf?__blob=publicationFile (22.06.2018).

[8] Lamers, Kriminalistik, 2/2018, S. 133.

[9] Krey, V. (2008): Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil 1, S. 8.

[10] http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/04/006/0400650.pdf (22.06.2018), S. 17f. oder S. 169ff.

 

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