Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe, der Jugendstrafe und der Untersuchungshaft im Land Brandenburg vom 22.8.2012 (Brandenburgisches Justizvollzugsgesetz – BbgJVollzG)

Datum: 
2012-10-01 00:00:00

Der Gesetzentwurf nimmt einerseits Inhalte des brandenburgischen Jugendstrafvollzugs von 2007 und des brandenburgischen Untersuchungshaftvollzugsgesetzes von 2009 auf und basiert andererseits auf dem Musterentwurf eines Strafvollzugsgesetzes der Länder vom August 2011 (so genannter 10erEntwurf).

Der Entwurf erhebt den Anspruch, den Strafvollzug „noch konsequenter als bisher am Gedanken der Resozialisierung und Eingliederung der Strafgefangenen in die Gesellschaft“ auszurichten (Vgl. S. 2 der Begründung des BbgJVollzG) und begründet ein einheitliches Justizvollzugsgesetz damit, dass man den Zustand beenden wolle, in dem verschiedene rechtliche Regelungen in einer Justizvollzugseinrichtung des Landes zur Anwendung kommen (Vgl. S. 1 der Begründung des BbgJVollzG).

Dieses Argument ist unseres Erachtens nachvollziehbar, andererseits gibt es auch gute Gründe dafür, die Unterschiedlichkeit der Vollzugsarten mit der Unschuldsvermutung einerseits und dem Spezifikum des Jugendstrafvollzugs andererseits durch jeweils eigene Gesetze Rechnung zu tragen. Will man die Verschiedenartigkeit besonders auch symbolisch ausdrücken, spricht vieles für eigenständige Gesetze. Andererseits haben wir inhaltlich keinerlei Anlass gefunden, Kritik daran zu üben, dass das Justizvollzugsgesetz nicht sachgerecht die Unterschiede benennt.

Das Brandenburgische Justizvollzugsgesetz sieht den offenen und den geschlossenen Vollzug als gleichrangige Unterbringungsform. Die Regelung des § 22 BbgJVollzG ist im Detail nicht kritikwürdig und die Begründung des Entwurfs meint, dass die Unterbringung allein von der Eignung abhängt. Auch wenn die bisherige Regelung des Strafvollzugsgesetzes mit dem offenen Vollzug als Regelvollzug über mehr als 30 Jahre nur wenig konsequent angewandt wurde, so ist doch die Symbolik der programmatischen Änderung angesichts der kriminologisch gut belegten Wirksamkeit des offenen Vollzugs hinsichtlich der Legalbewährung bedauerlich. Allerdings enthält § 8 Abs. 5 die Regelung, dass der Bezug der Straf-und Jugendstrafgefangenen zum gesellschaftlichen Leben zu wahren und zu fördern ist. Die Begründung des BbgJVollzG nennt dies den Öffnungsgrundsatz (S.19) und insofern könnte man dann doch von einem programmatischen Vorrang des offenen Vollzugs sprechen.

Das BbgJVollzG enthält keinerlei besondere Regelungen für den Frauenstrafvollzug. Zwar hatte das Strafvollzugsgesetz von 1977 auch nur Regelungen hinsichtlich Schwangerschaft und Geburt, die man durchaus abstrakt auf einer Ebene normieren kann, ohne diese Begriffe zu verwenden, aber dass der Frauenstrafvollzug überhaupt keine Spezifika aufweisen soll, fällt nach den Entwicklungen der letzten 35 Jahre doch auf. Immerhin regelt § 7 Abs. 4, dass die unterschiedlichen Bedürfnisse der Gefangenen, insbesondere in Hinblick auf Geschlecht, Alter und Herkunft bei der Vollzugsgestaltung im Allgemeinen und im Einzelfall berücksichtigt werden.

Vorbildlich ist unseres Erachtens die Regelung des § 12 Abs. 7, dass bei Strafgefangenen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, die Möglichkeiten der Abwendung der Vollstreckung durch freie Arbeit oder ratenweise Tilgung der Geldstrafe zu erörtern und zu fördern ist, um so auf eine möglichst baldige Entlassung hinzuwirken. Hier wird beispielhaft geregelt, wie Justiz mit Ersatzfreiheitsstrafen und deren Vermeidung umgehen sollte.

Ähnlich wie in § 7 des Musterentwurfs regelt § 13  ein umfassendes Diagnoseverfahren, das sowohl die Faktoren ermitteln soll, die die Straffälligkeit begünstigten, als auch die Fähigkeit der Gefangenen, der erneuten Straffälligkeit entgegenzuwirken.

In § 14 BbgJVollzG ist die Vollzugs- und Eingliederungsplanung geregelt, die nun deutlich über die Zeit der Haftentlassung hinaus ausgerichtet ist. Hervorzuheben ist die Regelung in Abs. 1, dass die Straf- und Jugendstrafgefangenen ein Wahlrecht haben, sofern zu Erreichung des Vollzugszieles mehrere geeignete Maßnahmen zur Verfügung stehen.

An der Vollzugs- und Eingliederungsplanung sind gemäß Absatz 5 und 6 des § 14 Personen einzubeziehen, die an der Eingliederung außerhalb des Vollzugs mitwirken, insbesondere gegebenenfalls auch die zukünftig zuständigen Bewährungshelfer, denen in den letzten zwölf Monaten vor dem voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt die Teilnahme an der Konferenz zu ermöglichen ist. Bei Freiheits- und Jugendstrafen bis zu zwei Jahren ist sogar eine regelmäßige Teilnahme des Mitarbeiters der Bewährung-oder Führungsaufsicht an den weiteren Konferenzen vorzusehen. Diese Regelungen sind sehr zu begrüßen, weil sie die Notwendigkeit durchgehende Hilfen zur besseren Gestaltung der Übergänge betonen. Die Begründung des Entwurfs stellt auf S. 5 fest: „Die sozialen Dienste der Justiz beteiligen sich frühzeitig an der Eingliederungsplanung der Anstalt“. Allerdings fehlt in dem Landesgesetz eine Verpflichtung  der Sozialen Dienste der Justiz zur Beteiligung, wie sie dem Land durch die vom Justizminister eingesetzte Arbeitsgruppe Resozialisierungsgesetz empfohlen worden war (S.26) und wie es in Hessen längst normiert und Praxis ist. Die dazu notwendigen Personalaufstockungen bei den Sozialen Diensten der Justiz sind für die bessere Resozialisierung im Sinne der Gestaltung der Übergänge aus Haft, der Vermeidung von Versorgungslücken und Doppelbetreuung gute Investitionen für eine Umsteuerung.

In § 14 Abs. 3 wird die Überprüfung und Fortschreibung des Vollzugs- und Eingliederungsplans geregelt. Als Intervall sind dort durchaus sachgerecht sechs Monate genannt (vgl. dazu auch § 8 des Musterentwurfs), wobei es dann aber im Gesetzestext heißt: „spätestens aber alle zwölf Monate“. Das verführt unseres Erachtens zu einer Verdoppelung des Zeitraums. Es wird erfahrungsgemäß nicht bei den in der Begründung genannten „Ausnahmefällen“ (vgl. S. 31) bleiben. Entweder sollten die Intervalle kürzer sein mit einer Frist von „spätestens sechs Monaten“ oder aber es sollte bei den sechs Monaten bleiben und eine Verlängerung auf 7-8 Monate begrenzt werden. Das genügt um pragmatisch Terminprobleme zu lösen und verführt nicht zur Umgehung des Willens des Gesetzgebers.

Als Mindestbesuchszeit wird in § 34 BbgJVollzG 4 Stunden pro Monat festgelegt – für den Jugendstrafvollzug und die Untersuchungshaft an jungen Untersuchungsgefangenen sogar 6 Stunden. Das Brandenburger Justizvollzugsgesetz geht damit, ähnlich wie der sächsische Entwurf eines Landesgesetzes, erfreulicherweise deutlich über den Musterentwurf hinaus. Hinzu kommen Regelungen, die insbesondere die Besuche von Angehörigen unterstützen sollen.

Die Regelungen zu den Lockerungen in§ 46 BbgJVollzG (in Anlehnung an § 38 des Musterentwurfs) sind konsequent und bedarfsgerecht, wobei insbesondere auch der Langzeitausgang zu nennen ist.

Überzeugend geregelt sind die Voraussetzungen für Lockerungen, die zur Vorbereitung der Eingliederung erforderlich sind in den letzten sechs Monaten vor der voraussichtlichen Entlassung (vgl. § 50 Abs.5 BbgJVollzG).

In § 50 Abs.4 BbgJVollzG ist der Aufenthalt in Übergangseinrichtungen außerhalb des Vollzugs zur Vorbereitung der Eingliederung geregelt. Haben sich die Gefangenen mindestens ein halbes Jahr im Vollzug befunden so kann Ihnen ein zusammenhängender Langzeitausgang bis zu sechs Monaten gewährt werden, wenn dies zur Vorbereitung der Eingliederung erforderlich ist. Diese Regelung, die sich ähnlich in § 42 Abs. 3 des Musterentwurfs findet, ist für die Gestaltung des Übergangs im Zuge der Haftentlassung sehr erfreulich, wird mit praktischem Leben aber nur erfüllt, wenn solche Angebote eingerichtet und finanziert werden.

Positiv ist zu würdigen, dass der Brandenburgische Entwurf der Versuchung widerstanden hat, Langzeitausgänge bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Gefangenen besonders restriktiv zu regeln. Zwar ist es völlig unstreitig, dass die Anstalt in diesen Fällen besonders sorgfältig prüft und dabei Risiken sowohl hinsichtlich der Gefährlichkeit als auch aufgrund noch anstehender langer Verbüßungsdauer würdigt. Der Musterentwurf für ein Landesstrafvollzugsgesetz hat hier in § 38 Abs. 3 eine Mindestverbüßungsdauer von fünf Jahren normiert und einige Bundesländer haben inzwischen signalisiert, diese Frist auf zehn Jahre hochsetzen zu wollen. Dabei ging es unseres Erachtens nicht um einen fachgerechten Diskurs unterschiedlicher Lösungen und Abwägungen, sondern es wurden den Autoren des Musterentwurfs aber auch den Anstaltsleitungen der künftigen Praxis Unverantwortlichkeiten oder Ahnungslosigkeit unterstellt.

Es geht hier nur um sehr wenige Einzelfälle und insbesondere wird es wenige Fälle geben, in denen die Anstaltsleitung diese Lockerungen gewährt, weil sie bereits nach 6, 7 oder acht Jahren verantworten kann „zu erproben, dass die Gefangenen sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe nicht entziehen oder die Lockerungen nicht zu Straftaten missbrauchen werden“ (§ 38 Abs.2 des Musterentwurfs und § 46 Abs. 2 BbgJVollzG). Die kriminalpolitische Debatte darüber ist ein gutes Beispiel dafür, wie man über Strafvollzug nicht debattieren sollte und sie konterkariert das fachlich hoch stehende Niveau des Musterentwurfs. Auch das Hamburger Strafvollzugsgesetz sieht übrigens überhaupt keine Mindestverbüßungsdauer vor. Es geht immer um die individuelle Prüfung je nach Gefährlichkeit und Behandlungsfortschritt im Einzelfall.

Gemäß §§ 15 Abs.2 und 27ff. BbgJVollzG gehen die arbeitstherapeutischen Maßnahmen, Arbeitstraining sowie schulische und berufliche Qualifizierungsmaßnahmen der Arbeit ebenso vor wie sozial- pädagogische und therapeutische Behandlungsmaßnahmen wenn sie zur Erreichung des Vollzugsziels zwingend erforderlich sind. Das jahrhundertealte ideologische Konzept des Strafvollzugs der Gewöhnung an Arbeit durch Arbeit wird abgelöst durch zeitgemäße, auf Erfahrung gründende Maßnahmen.

Konsequenterweise wird auch die Arbeitspflicht dem Angleichungsgrundsatz entsprechend geregelt und Arbeit nicht mehr als zusätzliches Strafübel aufgefasst. Darauf weisen auch die Begründungen des Musterentwurfs eines Landesstrafvollzugsgesetzes  auf S. 89 und des BbgJVollzG auf S. 51 explizit hin. Diese begrüßenswerten Regelungen dürfen jedoch nicht zu der irrigen Annahme verleiten, dass dadurch die Bedeutung von Erwerbsarbeit gering geschätzt werde, denn zur gesellschaftlichen Integration wird es auch weiterhin gehören, die Integration in den Arbeitsmarkt anzustreben, denn die ökonomischen Verhältnisse „verpflichten“ und „zwingen“ den bei weitem größten Teil der Bevölkerung durchaus zur Arbeit.

Die  Abschaffung der Arbeitspflicht darf nicht einhergehen mit einem verringerten Angebot wirtschaftlich sinnvoller Arbeit. Der Vollzug muss weiterhin verpflichtet bleiben, geeignete Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Es wäre auch im Sinne des Resozialisierungserfolgs kontraproduktiv, wenn willige und arbeitsfähige Gefangene in Trainingsprogrammen und sonstigen Behandlungsmaßnahmen "geparkt würden", weil wirtschaftlich sinnvolle Arbeit nicht vorhanden ist.

Gem. § 66 Abs. 2 BbgJVollzG beträgt die Vergütung sowohl für die Teilnahme an Behandlungsprogrammen, als auch schulischen und beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen oder als Arbeitsentgelt jeweils 9 % der Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuches (Sozialversicherung). Das BbgJVollzG übernimmt insofern - wie schon der Musterentwurf - einerseits die Regelungen des Bundesstrafvollzugsgesetzes, streicht aber die nicht-monetäre Komponente entsprechend der Regelung des § 43 Abs. 6 Strafvollzugsgesetz mit der Begründung, es handele sich nun um freiwillige Arbeit und nicht mehr um Pflichtarbeit. Dies halten wir aus zwei Gründen für problematisch: Zum einen hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 2001 die damalige Erhöhung auf 9 % als noch verfassungsgemäß angesehen und den Gesetzgeber dazu verpflichtet, zeitnah über eine weitere Erhöhung zu befinden. Das ist nun elf Jahre her. Statt über eine Erhöhung zu befinden wird die nicht-monetäre Komponente gestrichen, die das Bundesverfassungsgericht damals durchaus mit im Blick hatte, und gemäß § 72 Abs.3 BbgJVollzG können Gefangene an den Betriebskosten der in ihrem Gewahrsam befindlichen Geräte beteiligt werden. Das ist zwar rechtlich keine Verschlechterung, aber in der Praxis wird davon immer mehr Gebrauch gemacht, wodurch sich die finanzielle Situation der Gefangenen verschlechtert. Die Beteiligung an den Betriebskosten entspricht durchaus dem Angleichungsgrundsatz - soweit die Vergütung angemessen ist. Eine Erhöhung der Vergütung würde vor allem dazu führen, dass Gefangene in die Lage gesetzt würden, Ihren Unterhalts- und Schadenersatzverpflichtungen nachzukommen.

Das BbgJVollzG enthält keine Standards, um die guten Konzepte organisatorisch, finanziell und institutionell abzusichern. Das war schon ein großes Problem des Bundesstrafvollzugsgesetzes – jede KiTa und Schule, jedes Krankenhaus und selbst die Feuerwehr zeigt uns, dass es auch anders geht. Dazu bedürfte es verbindlicher Regelungen hinsichtlich des Einsatzes verschiedener Berufsgruppen und zur Personalausstattung. Auch die begrüßenswerten Regelungen hinsichtlich der Kooperationen zur Vorbereitung der Eingliederung sollten so gefasst werden, dass sie nicht nur den Strafvollzug binden, sondern unter Achtung der kommunalen Selbstverwaltung auch die Kooperationspartner.

Mit freundlichem Gruß
Prof. Dr. Heinz Cornel

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