Eine bundesweite, repräsentative Studie hat erstmals neben der Erhebung umfassender Daten zur Häufigkeit auch die Umstände und die Folgen sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Deutschland erforscht. Die Untersuchung wurde vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit initiiert und in Kooperation mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Ulm, dem Kriminologischen Institut in Heidelberg sowie dem Umfrageinstitut infratest dimap durchgeführt. Die Studie wurde mit Eigenmitteln der wissenschaftlichen Institute sowie mit finanzieller Unterstützung der WEISSER RING Stiftung, des Vereins Eckiger Tisch sowie des Kinderschutzbunds finanziert.
Die Befragung fand zwischen Januar und Oktober 2024 statt. 10.000 Personen wurden angeschrieben, die Rücklaufquote lag bei 30,2 %, teilgenommen haben 3.016 Personen im Alter von 18 bis 59 Jahren.
12,7 % der Teilnehmenden gaben an, im Laufe ihres Lebens mindestens einmal sexualisierte Gewalt erlebt zu haben, hochgerechnet betrifft das rund 5,7 Millionen Menschen in Deutschland. Frauen sind deutlich häufiger betroffen (20,6 %) als Männer (4,8 %). Männer berichteten hingegen überdurchschnittlich häufig von sexualisierten Gewalterfahrungen im Kontext von Sport- und Freizeiteinrichtungen, kirchlichen Institutionen sowie der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe. 37,4 % der Betroffenen hatten bis zur Befragung noch mit niemandem über das Erlebte gesprochen. Als häufigste Gründe dafür wurden Scham und die Angst genannt, nicht ernst genommen zu werden.
Die Studie untersuchte auch technologiegestützte sexualisierte Gewalt, etwa über das Internet und soziale Medien. 31,7 % der Betroffenen berichteten von entsprechenden Erfahrungen, davon 34,9 % der Frauen und 28,2 % der Männer. 61,9 % erlebten diese Form der Gewalt bereits vor ihrem 18. Lebensjahr. Das durchschnittliche Alter beim ersten Vorfall lag bei 11,2 Jahren.
Etwa die Hälfte der Betroffenen erlebte sexualisierte Gewalt einmalig, die andere Hälfte mehrfach. Besonders häufig waren Mehrfachbetroffenheiten bei Personen, die zum Zeitpunkt der ersten Tat jünger als 14 Jahre waren. 4,5 % Betroffenen gab einen männlichen Täter an, 20,6 % % eine Täterin. Als häufigste Methode der Tatanbahnung wurden das Ausnutzen von persönliche Beziehungen (28,1 %), Schmeicheleien und Komplimente (24,6 %) und die Ausnutzung von Autorität (24,4 %) genannt.
Betroffene gaben häufiger an als Nichtbetroffene, Anlaufstellen zu kennen, an die sie sich im Fall von sexualisierter Gewalt wenden könnten. Dennoch gaben fast 50 % der Befragten an, über keine entsprechenden Informationen zu verfügen.
Die Ergebnisse der Studie machen das große Dunkelfeld sexualisierter Gewalt deutlich und zeigen auf, dass differenzierte Schutzkonzepte notwendig sind, sowohl mit Blick auf gefährdete Kinder und Jugendliche als auch im Hinblick auf potenzielle Täter:innen.
Weitere Informationen, zu der Methodik, der Stichprobe, zur Täterschaft und Tatebereichen, zur Tatanbahnung und Tathandlungen zur Offenlegung sowie zur Diskussion und Limitation der Studie finden Sie hier und hier.